Werkstattausstellung "Sowjetisches Speziallager Nr. 7 / Nr. 1 in Sachsenhausen. Haftalltag und Erinnerung"
Dokumentation von Teilen meiner Eröffnungsrede:
Sammeln und Erforschen, Dokumentieren und Ausstellen, dies sind die vier klassi-schen Aufgabenfelder traditioneller Museen. Mit der zunehmenden zeitlichen Distanz zu den historischen Ereignissen wächst die Bedeutung musealer Tätigkeiten auch in den Gedenkstätten.
Die Werkstattaustellungen der Gedenkstätte zeigen Ergebnisse und Erfolge unserer Sammeltätigkeit. Unser Depot ist gerade in ein neues Gebäude umgezogen und wird demnächst in einem gesonderten Veranstaltung eröffnet. Im Vorgriff auf spätere Ausstellungen versuchen die Werkstattausstellungen, anhand der konkreten Geschichte von Gegenständen und Archivalien Schlaglichter auf einzelne Ereignisse und Vorgänge zu werfen.
Zukünftige Ausstellungen der Gedenkstätte profitieren inhaltlich und gestalterisch entscheidend von neuen Exponaten. Archiv und Sammlungsdepot der Gedenkstätte Sachsenhausen bitten daher alle Besucher, ihnen entsprechende Objekte und Dokumente zur Verfügung zu stellen. Wir freuen uns über Hinweise zu den ausgestellten Materialien.
Doch ich will noch etwas anderes kurz ansprechen: Das Museum ist Sacharchiv, ist Sammel- und Zeigeort der materiellen und dreidimensionalen Kultur. Der entschiedene Hinweis auf die Materialität ist deshalb nicht unwichtig, weil ihr, der Materialität, bestimmte „mnemotechnische Energien“ eigen sind, um einen Begriff des Kunsthistorikers Aby Warburg zu bemühen. Die Materialität sichert Dauerhaftigkeit und Anschaulichkeit. Im Vergleich zu anderen Zeichen, wie etwa Emotionen und Gedanken, sind Dinge, Objekte, Artefakte oder Überreste besonders konkret und permanent.
Doch über die Frage der Präsentation gab es vielfach Streit. In den Auseinandersetzungen um die Theorien zu Ausstellungen wurde vor vierzig Jahren beispielsweise wieder die Behauptung aufgestellt, dass Objekte sich selbst vermitteln könnten. In diesem Zusammenhang wurde sogar, wie Detlef Hoffmann berichtete, die Forderung erhoben, jedem Museumsmann oder -frau einen „hippokratischen Eid" zugunsten der Objekte abzunehmen, ein besonders pathetischer Aphorismus. Damals wurde von Vertretern dieser Auffassung fast selbstverständlich jede Form der Vermittlung dem Verdacht unterworfen, sie stelle sich in den Dienst von Propaganda und Manipulation. Doch zum Glück hat sich diese radikale Position letztlich nicht dauerhaft etablieren können, gerade auch nicht an Orten wie diesen. Objekte oder Artefakte sagen nichts über sich selbst aus. Sie sind herausgerissen aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang. Es bedarf des Kontextes. Die Objekte müssen in Ausstellungen wieder in ihren ursprünglichen Zusammenhang eingeordnet werden. Das Herz vom Nikolaustag 1947, das Leonore Fink, heute Bellotti, in mühsamer Handarbeit in ihrer Baracke hergestellt hat, ist ein gutes Beispiel dafür. Wir haben es auf die Einladungsflyer für die Ausstellung gedruckt. Sie werden vielleicht überrascht sein, wie klein es in Wirklichkeit ist.
Ohne Wissen über die Entstehungshintergründe ist es ein hübsches Kleinod. Ähnliche Objekte gab es auch in Lagern und Gefängnissen völlig anderer Kontexte. Sie stellen eine Herausforderung für die museale Präsentation dar, weil sich ihre Bedeutung erst durch die Erläuterung des Entstehungskontextes erschließt. Es handelt sich zudem um Gegenstände mit einer kontrafaktischen Anmutung. Eigentlich repräsentieren sie Mangel, Beschäftigungslosigkeit und Isolation, zeigen aber vordergründig das Gegenteil. Leonore Bellotti wird uns gleich im Gespräch diesen Kontext liefern. Sie wird berichten, unter welchen Umständen das Stoffherz und andere Objekte entstanden sind, die nun in einer Vitrine einem größeren Publikum zugänglich gemacht werden.
Zudem ist an Orten mit zweifacher Vergangenheit wie Sachsenhausen ist die Darstellung des historischen Kontextes von herausgehobener Bedeutung, weil die Unterschiedlichkeit verschiedener historischer Nutzungsphasen und Lagertypen sonst nicht vermittelt werden kann.
Diese Ausstellung, die heute eröffnet wird, thematisiert anhand exemplarisch ausgewählter Exponate, die erstmals öffentlich gezeigt werden, die Breite und Vielfalt von Nachlässen ehemaliger Speziallagerhäftlinge, die in den letzten Jahren an die Gedenkstätte Sachsenhausen übergeben wurden. Die Ausstellung ist biographisch angelegt und widmet sich vor allem der individuellen Erinnerung und Verarbeitung der Hafterfahrungen, aber auch anderen Aspekten des Themas.
Ich habe nun die Freude, das Wort an Leonore Bellotti zu übergeben, die uns nicht nur viele der Exponate übergeben hat, die wir nun zeigen, sondern auch in vielfältiger Form mit der Gedenkstätte zusammenarbeitet. Sie hat ihre Familie mitgebracht und wird sich hoffentlich auch nachher noch in der Führung einbringen, etwas, das mir auch Hubert Polus versprochen hat, der uns ebenfalls ein kleines Herz, ein Stoffpüppchen, aber auch getrocknete und konservierte Blätter einer Pflanze übergeben hat, über deren Bewandtnis er uns nachher aufklären wird.
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