Tagungsbericht zu einer von mir maßgeblich mit organisierten Tagung
von Thomas Irmer, Berlin
Anlässlich des 70. Jahrestages von Kriegsende und Befreiung befasste sich die vom in Berlin ansässigen Zentrum für Historische Forschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften und der Gedenkstätte Sachsenhausen ausgerichtete Tagung mit der Arbeit von Gedenkstätten und Museen zur NS-Zeit in beiden Ländern. In fünf Panels diskutierten 18 ReferentInnen über die Rolle von authentischen Orten, die Aufgaben von Gedenkstätten, die Instrumentalisierung oder über die Gedenkstättenpädagogik. Mehr als 100, überwiegend deutsche und polnische TeilnehmerInnen besuchten die Tagung im Ungarischen Kulturzentrum.
Im Eröffnungsvortrag unternahm ADAM KRZEMIŃSKI (Warschau) ausgehend von persönlichen Erfahrungen eine beeindruckende Tour d´Horizon durch sieben Jahrzehnte polnischer und deutscher Erinnerungskultur und Gedenkpolitik. Heute stehen wir Krzemiński zufolge vor einer wesentlichen „Verschiebung der Wahrnehmung des 20. Jahrhunderts“, da die Erlebnisgenerationen abtreten und der Besuch einer KZ-Gedenkstätte bei den nach 1989 Geborenen nicht mehr zu so solch prägenden Erschütterungen wie bei den Generationen davor führe. Die Diskussion über die Folgen des Abschieds von den Zeitzeugen und über den Umgang jüngerer Generationen mit Gedenken und Erinnerung war einer der Gründe für die Durchführung der Tagung, wie GÜNTER MORSCH (Sachsenhausen) in seiner Begrüßung ausführte. Im Zusammenhang mit dem 70. Jahrestag des Endes des zweiten Weltkriegs sei in Politik und Medien in Deutschland auch von einer „Zäsur in der Entwicklung der Erinnerungskultur“ die Rede. Sehr bedenklich seien außerdem auch auf europäischer Ebene geführte Diskussionen über die Erinnerung an die kommunistischen Regimes, wenn sie auf eine alle Diktaturen vermischende, anti-totalitäre Erinnerungskultur hinausliefen. Deutschland und Polen eignen sich in besonderer Weise dafür, Fragen zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Gedenkstätten zu diskutieren, so MORSCH, da sich in den beiden Ländern die meisten NS-Gedenkstätten befinden. In Deutschland sei die Erinnerung an den Nationalsozialismus von einer negativen Erinnerung an das Land der Täter bestimmt, in Polen hingegen durch eine Märtyrologie als dem Land, aus dem die meisten Opfer kamen.
Im Mittelpunkt des ersten, von dem Politikwissenschaftler HARALD SCHMID (Schleswig-Holstein) moderierten Panels standen Fragen zum Umgang mit den authentischen Orten. In diesem Rahmen befasste sich ROBERT TRABA (Berlin) mit Unterschieden in deutschen und polnischen Wahrnehmungen von Erinnerungsorten wie Auschwitz, insbesondere im Hinblick auf polnische nicht-jüdische Häftlinge. Außerdem hob Traba hervor, dass die Geschichte vieler lokaler Orte der „kleinen Vernichtung“ noch nicht erzählt sei. Wie können sie in die große Erzählung über den Krieg und NS-Verbrechen eingebunden werden? GABI DOLFF-BONEKÄMPER (Berlin) zeigte, welchen Beitrag die Methoden der Denkmalpflege für die Konstruktion bzw. Dekonstruktion der Erinnerung liefern können. Es sei besonders wichtig, den Blick auf das Abwesende in den heutigen Gedenkstätten zu richten – ein Thema, das im Verlauf der Tagung mehrfach aufgriffen wurde. Des Weiteren schlug Dolff-Bonekämper vor, anstatt von „Orten der Erinnerung“ von „Orten der Erzählung“ zu sprechen, da die authentischen Orte heute in erster Linie Orte der Vermittlung und Weitergabe seien, wobei die Lernwege und die VermittlerInnen entscheidend seien. HABBO KNOCH (Köln) befasste sich mit den Herausforderungen und der Wichtigkeit digitaler Medien für die Erinnerung am authentischen Ort. Am Beispiel eines Projekts der Gedenkstätte Bergen-Belsen berichtete er von neuen Lernerfahrungen mit digitalen Medien wie einem dreidimensionalen Lagermodell, wobei durch Elemente der „Augmented Reality“ unsichtbare Orte digital sichtbar und historische Quellen mit dem Ort verbunden werden konnten.
Zitation
Tagungsbericht: Gedenkstätten an NS-Verbrechen in Polen und Deutschland. Von Mahnstätten über zeithistorische Museen zu Tourismusorten, 11.06.2015 – 13.06.2015 Oranienburg und Berlin, in: H-Soz-Kult, 07.09.2015,<http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-6146>.
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