I might be wrong.
Am 29. September ist Björn-Ulrich Brödel in Hamburg verstorben, wo er seit Jahrzehnten lebte. Er wurde 90 Jahre alt. Brödel, geboren 1931 in Königsberg, war der letzte noch lebende Angehörige einer widerständischen Gruppe von Neulehrern und Oberschülern in meiner Heimatstadt Altenburg. Die Gruppe hatte im Dezember 1949 mit einem selbstgebauten Radiosender die Lobrede des DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck anlässlich des 70. Geburtstages von des sowjetischen Diktators Josef Stalin zu stören und zu kommentieren. Brödel stand bei dieser Aktion, die in der Wohnung seiner Mutter stattfand, unten auf der Straße „Schmiere“.
In der Reihe "Rochester Studies In East And Central Europe" erschien soeben der Sammelband "Seeking Accountability for Nazi and War Crimes in East and Central Europe. A People's Justice?", herausgegeben von Eric Le Bourhis, Irina Tcherneva und Vanessa Voisin.
Julia Landau und ich durften einen Text über das Spannungsverhältnis sowjetischer Sicherheits- und Geheimhaltungsinteressen und dem Interesse, für die Verurteilung von NS-Tätern Öffentlichkeit herzustellen, beisteuern.
Inhalt
Introduction
V. Voisin, E. Le Bourhis, and I.
Tcherneva
List of Abbreviations
Part I - Justice and
visibility
Shaping the Spectacle:
Politics and Professional Practices
Chapter 1. Justice in Mantle Coats: Shooting the Bulgarian
People's Courts in Revolutionary Times, 1944-1945
Nadège Ragaru
Chapter 2. The Nuremberg Trials - To Stage or Not to Stage:
Conflicting Visions and Creative Differences
Sylvie Lindeperg/Camille Noûs
Chapter 3. Evidence and Soviet Rhetorical Devices: Staging
Justice at the Nuremberg Trial
Victor Barbat
Disclosing Data: Doubt
and Uncertainty
Chapter 4. Tensions Between Secrecy and Publicity: Internment,
Investigation, Extradition, and Convictions in the Soviet Occupation Zone in Germany, 1945-1950
Enrico Heitzer and Julia
Landau
Chapter 5. Concentration Camp Crimes on Trial, on TV, and in
Civic Education. Bonn 1958-1959
Götz Lachwitz
Chapter 6. Law and Accountability, Secrecy and Guilt: Soviet
Trawniki Defendants' Trials, 1960-1970
David Alan Rich
Part II - Justice and
social mobilization
From Rumor to
Testimony: Challenges in Voluntary Social Involvement
Chapter 7. Rehabilitation of individuals suspected of
collaboration: The Jewish Civic Court by the Central Committee of Jews in Poland, 1946-1950
Katarzyna Person
Chapter 8. Risks and Results of Citizens' Commitments: The
Kačerovski Case in Riga, 1958-1963
Eric Le Bourhis and Irina
Tcherneva
Chapter 9. Mediators behind the Scenes: The World Jewish Congress
and the International Auschwitz Committee during the Preparations for the First Auschwitz Trial in Frankfurt
Katharina Stengel
Individual and
Collective Advocacy
Chapter 10. Accusing Hans Globke, 1960-1963: Agency and the Iron
Curtain
Jasmin Söhner and Máté Zombory
Chapter 11. The Fils et Filles des Déportés Juifs de
France and the Lischka Trial in Cologne,
1971-1980
Anne Klein and Birte Klarzyk
List of Contributors
Index
Hier gibt es weitere Informationen zu dem interessanten Band.
Am 29. September ist Björn-Ulrich Brödel in Hamburg verstorben, wo er seit Jahrzehnten lebte. Er wurde 90 Jahre alt. Brödel, geboren 1931 in Königsberg, war der letzte noch lebende Angehörige einer widerständischen Gruppe von Neulehrern und Oberschülern in meiner Heimatstadt Altenburg. Die Gruppe hatte im Dezember 1949 mit einem selbstgebauten Radiosender die Lobrede des DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck anlässlich des 70. Geburtstages von des sowjetischen Diktators Josef Stalin zu stören und zu kommentieren. Brödel stand bei dieser Aktion, die in der Wohnung seiner Mutter stattfand, unten auf der Straße „Schmiere“.
Edited by Enrico Heitzer, Martin Jander, Anetta Kahane, and Patrice G. Poutrus / Translated from the German
Praise for the German edition:
“The anthology unites interdisciplinary, multi-perspectival contributions … [and] invites a new reading of GDR history.” • Sehepunkte
DESCRIPTION
Diskussion mit Sharon Adler, Anetta Kahane, Dr. Ilko-Sascha Kowalczuk, moderiert von mir
3. November 2020, 19 Uhr
Drei Jahrzehnte nach der deutsch-deutschen Vereinigung, der Friedlichen Revolution und dem Mauerfall haben sich diese Ereignisse im kollektiven Gedächtnis verankert. Jubiläen bieten auch die Möglichkeit, innezuhalten und zu überlegen: Was wird da eigentlich erinnert – und wie? Wer erinnert, wer feiert überhaupt? Und wer nicht?
Jüdische Gegenerinnerungen bieten die Perspektive, sich 1989/90 mit neuen Fragen zu nähern. So prägten die Erfahrungen der Generation, die das nationalsozialistische Deutschland noch erlebt und überlebt hatte, die Sorgen und Herausforderungen, die Jüdinnen*Juden in der Umbruchszeit zu bewältigen hatten. Brennende Flüchtlingsunterkünfte und zerstörte jüdische Friedhöfe verstärkten diese Ängste.
Gleichzeitig änderte sich unter der letzten DDR-Regierung das Verhältnis zu Israel und die Aufnahme von sowjetischen Jüdinnen*Juden sicherte das Überleben vieler Gemeinden – und veränderte sie nachhaltig.
Der Kanon vielfältiger jüdischer Erinnerungen an diese gesellschaftlichen Transformationen hat das Potential, die sich verfestigenden deutsch-deutschen Erfolgserzählungen von 1989/90 zu irritieren, zu ergänzen und herauszufordern. Und das schon durch die Vielfalt jüdischer Lebenswelten in Ost und West, aber auch durch eine kritische Perspektive auf die Mehrheitsgesellschaft.
"Понять и изобразить. Вина и ответственность за прошлое в экспозициях немецко- и русскоязычных музеев"
06. November 2020 – 09:30 bis 15:30 Uhr
Mit diesem Online-Workshop versuchen Dr. Olga Rosenblum und ich deutsch- und russischsprachige „memorial professionals“, d.h. Gedenkstättenmitarbeiter/innen, Forscher/innen, aber auch Studierende, Vertreter/innen der Zivilgesellschaft und anderweitig am Feld Interessierte, in einen Austausch zu bringen. Die prinzipiellen Unterschiede der Aufarbeitungsdiskurse stehen im Zentrum der Diskussion.
Ausgangspunkt unserer Diskussionen ist ein zentraler Unterschied in der deutschen und russischen Sprache und damit möglicherweise auch zusammenhängend in Forschungstraditionen und Museumspraktiken: die Abwesenheit eines Äquivalents zum deutschen Wort „Täter“ im Russischen, das im Deutschen üblicherweise für die Analyse und Darstellung verschiedener Grade der Verantwortung vor allem für NS-Verbrechen, aber auch DDR-Unrecht, benutzt wird. Möglicherweise lässt sich das durch die seit Khrushchev dauernde Tendenz erklären, die Auseinandersetzung mit der Verantwortung für die Repressalien zu meiden und als Folge Begriffe mit einem maximal breiten, geradezu verschwommenen Sinn zu verwenden (z.B. „Čekist“ oder „Henker“ für jeden Mitarbeiter der ČK und aller Nachfolgeinstitutionen, „Macht“, „Totalitarismus“, „schwierige Zeit“, „historisches Moment“, „Sonnenfinsternis“, „Tragödie“ usw.).
Im ersten Panel soll es neben historiographischen Fragen nach der Genese und Entwicklung der Erforschung von Täterschaft und Verantwortung und ihren Konjunkturen darum gehen, wie diese Themen museal dargestellt werden, welche Tätertypen und –gruppen Beachtung finden und was hingegen keine Rolle spielt.
Im zweiten Panel widmet sich die Diskussion moralischen Handlungsspielräumen in repressiven Kontexten des 20. Jahrhunderts. Das Panel fragt auch danach, welche moralischen Dilemmas hinsichtlich Täterschaft und Verantwortung in Ausstellungen dargestellt werden, überhaupt dargestellt werden können und pädagogisch sinnvoll verhandelt werden. Die Arten möglicher Relativierung von tatsächlicher Schuld sollen auch zur Sprache kommen.
Das vollständige Programm finden Sie unten.
На русском языке программа доступна ниже.
Der Workshop findet als Online-Veranstaltung statt.
Forum Infoclips
Für Hito Steyerls Arbeit "Social Sim" hat das Forum demokratische Kultur und zeitgenössische Kunst Parameter entwickelt, die einige maßgebliche Gefährdungen für die Demokratie erfassen. Für die Kunstsammlung NRW sind zusätzlich Videoclips entstanden, die diese Parameter kommentieren. In einem davon bin ich zu sehen.
Spuren der Geschichte nach 1945
Instagram-Livestream vom 11.9.2020 durch die KZ-Gedenkstätten Neuengamme und Sachsenhausen
mit Enrico Heitzer @sachsenhausenmemorial @e_heitzer
und Lennart Onken @neuengamme.memorial
--> https://www.instagram.com/tv/CE_lKzlKbdj/?utm_source=ig_web_button_share_sheet
W cieniu Norymbergi. Transnarodowe ściganie zbrodni nazistowskich
Książka „W cieniu Norymbergi” jest novum w polskiej i niemieckiej przestrzeni badawczej. Nie było dotąd tak szerokiego spojrzenia, które objęłoby zagadnienia ścigania zbrodni hitlerowskich w Polsce, ZSRR, Niemczech czy we Włoszech. Najważniejszą zaletą książki jest spojrzenie na problematykę ścigania zbrodni nazistowskich przez perspektywę prawniczą, polityczną i wreszcie psychologiczno-antropologiczną. Perspektywy te w wielu tekstach przenikają się, przez co można mówić o bardzo zróżnicowanym spojrzeniu na zjawisko rozliczeń, które do dziś wzbudza spore emocje społeczne i polityczne. Książka jest ważna również dlatego, że łączy perspektywę badaczy z Polski, Niemiec i innych krajów. Bez wątpienia starali się oni przekraczać ramy narodowych interpretacji. Dzięki temu powstała rzeczowo napisana analiza, będąca przykładem rzetelnego warsztatu naukowego.
* * * Veranstaltung verschoben * * * bald neue Information * * * Die Gedenkstätten und mit ihnen die Erinnerungskultur, sind ein Zeugnis der deutschen Schuld an der Shoah. Zunehmend werden sie in ihrer täglichen Arbeit mit Geschichtsrevisionismus, Relativierung und Leugnung der Shoah konfrontiert. Über den Zugriff auf die Erinnerung soll so ein neues, aufgeklärtes Deutschland, das auf den Lehren aus der Shoah basiert und sich zu ihnen bekennt, durch ein identitäres Deutschland abgewickelt werden. Hier wird die eigene Verantwortung durch Täter-Opfer Umkehr abgewehrt und der Antisemitismus externalisiert, indem man ihn ausschließlich anderen Gruppen zuschreibt. Seit Höckes Dresdener Rede vom „Mahnmal der Schande“, erteilt deshalb die Thüringer Gedenkstätte Buchenwald den Vertreter*innen der AfD regelmäßig Hausverbot.
Spätestens seit dem „Historikerstreit“ zwischen Ernst Nolte und Jürgen Habermas von 1986, wurde der Drang nach einer revisionistischen „Neubewertung" des industriellen Massenmords an Jüdinnen und Juden auch in Teilen der Geschichtswissenschaft deutlich. Über die Vergleichbarkeit sowjetischer Gulags mit deutschen Konzentrationslagern wird hier die Singularität des industriellen Massenmordes während der Shoah, in Abrede gestellt.
Auch im Kunst- und Kulturfeld lassen sich solche Normalisierungen der deutschen Geschichte über die Relativierung und Instrumentalisierung der Shoah finden. Einerseits wird die Shoah immer wieder als ein Verbrechen unter vielen dargestellt und in Folge in Vergleich oder gar Konkurrenz zu anderen Menschheitsverbrechen gesetzt. Andererseits wird die Shoah für politische Kunstprojekte instrumentalisiert, um die Bedeutung und Dringlichkeit der eigenen Arbeit zu unterstreichen – zur Not auch auf Kosten lebender Jüdinnen und Juden.
Wenn das Ende der DDR und die deutsche Einheit gefeiert werden, tue ich mich mitunter schwer mit überbordender Freude, war es doch gleichzeitig der Auftakt zu wirklich üblen Jahren, gab es doch auch die krassen Schattenseiten, war doch vor allem die Zeit danach in der ostdeutschen Provinz, die ich erlebt habe, von einer brutalen Neonaziplage geprägt. Das wird gerade – endlich! – unter dem Hashtag #baseballschlägerjahre verhandelt, prägen diese Jahre zumindest Ostdeutschland doch bis heute.
Die Bilder in dem Beitrag sind alle später entstanden. Sie zeigen exemplarisch rechtsextreme Gesinnung und Agitation. Ich habe in den hier in Rede stehenden Jahren keine Neonazis oder deren Tun fotografiert.
Ich bin genauso alt wie Uwe Böhnhardt vom Nationalsozialistischen Untergrund, bin in Altenburg geboren und aufgewachsen und kann mich gut an den „Thüringer Heimatschutz“ erinnern, der auch in meiner Stadt präsent war. Nach dem Abitur im Mai 1996 habe ich Altenburg sofort verlassen. Ich musste weg. Es ging nicht anders. Dabei war ich weder Punk, noch auf den ersten Blick als Antifa erkennbar. Ein Kleinstadt-Teenager, der gerne Metal hörte und sich selbst eine Weile in einer Band ausprobierte.
Ich hatte zwar bereits als Kind in der DDR einige Dinge erlebt, die in meiner Familie, in meinem Lebensumfeld (das wurde mir natürlich erst später klar) auf eine totale Abwehr von Vielfalt und Pluralismus hindeuteten. Beispielsweise wurden ein Onkel, dessen lange Teenager-Haare und Tätowierungen viele in der Verwandtschaft schon lange offen angekotzt hatten, bei einem Familienfest betrunken gemacht und ihm dann mit einer Heckenschere die Haare vom Kopf geholt. Kurz vor den Sommerferien 1989 war am Klinkerbau meiner Schule, die nach dem von den Nazis zu Tode gequälten Sozialdemokraten Erich Mäder benannt war, an mehreren Stellen mit weißer Farbe und gut sichtbar mit „Russen raus!“-Parolen beschmiert. Besonders gut sichtbar war ein Schriftzug an der Turnhalle, den man vom gesamten Schulhof aus gut sehen konnte. Täter hat man m.W. nie gefunden.
Mit dem Ende der DDR aber brach dann buchstäblich alles zusammen, vor allem die Welt der Erwachsenen lag vollständig in Trümmern. Die Älteren, an die ich mich erinnere, waren mit ihrem eigenen Kram beschäftigt. Die Umbrüche und auch die Aufbrüche, das zerbrechende stahlharte Gehäuse der in meinem Umfeld kleinbürgerlich-engen DDR-Gesellschaft setzte heftige Energien gerade unter vielen Heranwachsenden frei, denen oft wenig Einhalt geboten, die viel zu selten eingehegt wurden. Ich erinnere mich beispielsweise, dass es beinahe zu einer Art Volkssport wurde, in den neuen Supermärkten zu klauen.
Sinnverlust, Desillusionierung, Gefühle des Zynismus, sicher auch der Deklassierung, trafen auf eine oft vorzufindende Totalabwehr von Vielfalt und Pluralismus, auf Vorstellungen von „völkischer“ Reinheit, „Zucht und Ordnung“, die offenbar teilweise älter waren als die DDR und nun zusätzlich von anrückenden Nazikadern mit allen Mitteln geschürt wurden. Solche rechtsradikalen »Erweckungen« waren übrigens keineswegs auf Jugendliche und Heranwachsende beschränkt.
Wenn heute manchmal pauschal der „Mut der Ostdeutschen“ gewürdigt wird, passt diese pathetische Formel teilweise schlecht mit meinen Erfahrungen nach dem Systembruch zusammen. Wenn in den Jahren nach 1989/90 Neonazis auftraten, wenn sie den öffentlichen Raum beanspruchten, war von Mut, Solidarität und tätiger Hilfe allzu oft nicht viel zu spüren, dafür aber oft genug Sympathie, manchmal auch bloß offensiv zur Schau gestelltes Desinteresse. Ich erinnere krasse Kommentare zum Zeitgeschehen von Erwachsenen, aber auch totale Gleichgültigkeit.
Dienstag, 3. September 2019, 18.30 Uhr, in der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen
Eine Kooperationsveranstaltung der Gedenkstätte und der Beauftragten des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der Kommunistischen Diktatur
Das gründlich recherchierte Buch trägt einen sperrigen Titel und auch sein Inhalt ist eher sperrig. Andreas Weigelt rekonstruiert in der Studie die Biografien von 317 Personen, die zwischen Mai 1945 und Dezember 1955 in Bad Freienwalde und Umgebung vom sowjetischen Geheimdienst festgenommenen worden sind. Viele von ihnen, etwas über 50 wurden davon wurden im sowjetischen Speziallager Nr. 7/Nr. 1 in Weesow und in Sachsenhausen inhaftiert. 25 davon starben in Weesow und Sachsenhausen.
Im Zentrum der Präsentation von Weigelts zentralen Forschungsergebnissen und der anschließenden Diskussion standen die Fragen: Wer waren diese Menschen, was wurde ihnen von der sowjetischen Seite vorgeworfen, trafen die Vorwürfe zu und wenn ja, was trieb sie an?
Andreas Hilger, profilierter Stalinismus- und Geheimdiensthistoriker, schreibt in seiner Rezension des Buches an zentraler Stelle: „Hervorzuheben bleibt jedoch unter anderem die Erkenntnis, dass die sowjetische Besatzungsmacht in ihrem Bestreben, den Nationalsozialismus endgültig zu zerschlagen und die eigene Präsenz zu schützen, Verhaftungen weniger blindwütig als kalkuliert und ausgewählt vornahm, zumindest vornehmen wollte.“
Ich ergänze zwei Punkte: Erstens verweist Weigelts Buch, das in zahlreichen Fällen auf Haftvorwürfe verweist, die in die Zeit der NS-Diktatur zurückweisen, auf ein grundsätzliches Problem der Historiographie in Ostdeutschland. Es gibt z.T. überhaupt keine regionale Forschung zur Lokalgeschichte im Nationalsozialismus, auf die man bei Forschungen zur Nachkriegsentwicklung zurückgreifen müsste, etwa wenn es um die Einschätzung des Charakters der sowjetischen Speziallager geht. Da es diese Regionalforschung kaum gibt, bleibt man oft mit dem Vorwurf konfrontiert, den man den Unterlagen des sowjetischen Geheimdienstes entnehmen kann, die meist in den 90er Jahren in Kopie nach Deutschland gelangten. Es gibt bis heute keine umfassende Darstellung der Geschichte Potsdams im Dritten Reich. In Weigelts Buch wird das exemplarisch am Fall von Franz Block deutlich, der bereits 1931 der NSDAP und SA beitrat und als Saalschutz bei Veranstaltungen in körperliche Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern verwickelt war. Ab 1940 leitete Block den SA-Sturm Bad Freienwalde. Er wurde nach der Internierung in mehreren Speziallagern und 1950 in den "Waldheimer Prozessen" u.a. wegen seiner Beteiligung an der Zerstörung der Synagoge in Bad Freienwalde in der „Reichskristallnacht“ verurteilt. Weigelt muss in seinem Text darauf verweisen, dass es kaum veröffentlichte Schilderungen der Vorgänge in der Pogromnacht in Bad Freienwald gibt, ein Manko, das meiner Ansicht nach direkt auf eine nur mangelhafte NS-Aufarbeitung in weiten Teilen Ostdeutschlands verweist, die ich für eine der wichtigsten Ursachen der heutigen ostdeutschen politischen Rechtsentwicklung halte.
Zweitens ist Weigelts hervorragendes Buch ein erneuter Beleg dafür, wie dringend nötig Forschungen zur Zusammensetzung der Häftlinge - der „Häftlingsgesellschaft“ - der sowjetischen Speziallager brauchen, weil mit Kategorien aus dem Arsenal der banalisierten Totalitarismustheorie die Debatte um die Bewertung der Praxis der sowjetischen Nachkriegsinhaftierung kaum versachlicht werden kann.
UPDATE: Inzwischen ist 2021 eine zweite Auflage erschienen. Hier sammle ich die Reaktionen und Verweise auf den Sammelband "Nach Auschwitz: schwieriges Erbe DDR", den ich gemeinsam mit Anette Kahana, Martin Jander und Patrice G. Poutrus herausgegeben habe.
In der Gedenkstätte Sachsenhausen wurde an diesem Wochenende mit der Vorstellung eines Zeitzeugen-Interviewprojekts und einer Gedenkveranstaltung an die Einrichtung des sowjetischen Speziallagers in Sachsenhausen vor 74 Jahren erinnert. Zu den Veranstaltungen, die von der Gedenkstätte in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945-50 e.V. durchgeführt werden, wurden kamen etwa ein Dutzend ehemalige Häftlinge des Speziallagers und zahlreiche Angehörige.
Am Samstag, 17. August 2019, um 15.00 Uhr wurde im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung ein Interviewprojekt mit Zeitzeugen des sowjetischen Speziallagers in Sachsenhausen vorgestellt. Zwischen März und August 2019 interviewte die Filmemacherin und Grimme-Preisträgerin Loretta Walz im Auftrag der Gedenkstätte Sachsenhausen und gefördert von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur 14 ehemalige Inhaftierte des sowjetischen Speziallagers vor der Kamera zu ihren Hafterfahrungen und ihrer Biografie . Im Anschluss an eine Präsentation von Ausschnitten aus den Interviews fand ein Podiumsgespräch mit Loretta Walz und den beiden Zeitzeugen Annemarie Krause und Karl-Wilhelm Wichmann statt.
Gestern fand im Rahmen der Aktionswochen gegen Antisemitismus bei der Amadeu Antonio Stiftung die Präsentation des Sammelbandes „Chimära mensura?“ statt, der den Schäferhund-Hoax aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Auf dem Podium nahmen Antonia Schmid, Markus Kurth, Sven Schultze und ich Platz. Die Moderation übernahm Juliane Schütterle. Nach Impulsreferaten – Markus Kurth stellte die gehoaxten Human-Animal Studies vor, Sven Schultze kritisierte deren erkenntnistheoretischen Grundlagen, ich rekapitulierte, was es ermöglicht hatte, eine solch plumpe totalitarismustheoretisch drapierte Story vom Nazi-Kommunisten-Schäferhund im KZ, sowjetischen Speziallager und an der Berliner Mauer in der Hauszeitschrift des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung unterzubringen und Antonia Schmid fragte nach dem Zusammenhang zwischen dem Hoax-Geschehen und der prekären Ordnung akademischer Forschung der Gegenwart – ging es in die Debatte mit dem Publikum.
Den Sammelband von mir Günter Morsch, Robert Traba und Katarzyna Woniak (Hrsg.) mit dem Titel "Von Mahnstätten über zeithistorische Museen zu Orten des Massentourismus? Gedenkstätten an Orten von NS-Verbrechen in Polen und Deutschland", der in der Reihe Forschungsbeiträge und Materialien der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten
erschienen ist, gibt es jetzt auch auf Polnisch.
Der Klappentext der deutschen Version (siehe auch hier):
Unter grundsätzlich unterschiedlichen Ausgangsbedingungen entstand in Polen, in der DDR sowie der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 eine Vielzahl von Gedenkstätten, Museen und Mahnmalen, die an die deutschen Verbrechen in der Zeit der NS-Diktatur erinnern. Nach 1989/90 kam es sowohl in Polen als auch in Deutschland zu einer gesellschaftlich-politischen Neubestimmung der Rolle der NS-Gedenkstätten. Mit dem zunehmenden Abstand zu den historischen Ereignissen, mit dem Sterben der Zeitzeugen und unter neuen politischen Rahmenbedingungen veränderten sich die Gedenkstätten in beiden Ländern sehr stark. Der Band dokumentiert die Beiträge einer polnisch-deutschen Tagung, die den 70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges zum Anlass nahm, eine Zwischenbilanz der jeweiligen erinnerungskulturellen Entwicklung zu ziehen. Polnische und deutsche Historiker und Gedenkstättenexperten nutzten die vom Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften (PAN) und von der Gedenkstätte Sachsenhausen organisierte Konferenz, um kritisch über den Funktions- und Bedeutungswandel der Gedenkstätten und über die Zukunft der Erinnerungskultur in beiden Nachbarländern zu diskutieren.
Weitere Informationen:
Präsentation des Sammelbandes "Chimära mensura?" durch Sven Schultze und mich
UPDATE: Der Vortrag lässt sich hier [Link] online nachhören.
2015/16 führten Satiriker*innen mit gefälschten Forschungsergebnissen die Human-Animal Studies und die historische Totalitarismusforschung vor. Die Referenten haben ein Buch zu diesem klugen Wissenschaftsschwindel veröffentlicht und setzen sich in ihrem Vortrag kritisch mit dem Hoax auseinander.
Bei Pecha Kucha
20 Bilder X 20 Sekunden.
Pecha Kucha ist ein schnelles Vortragsformat. 20 Bilder á 20 Sekunden müssen reichen, um eine Botschaft, eine Geschichte oder eine Idee zu vermitteln. Die Idee stammt von einem Architekturbüro in Tokio. Der Begriff stammt aus dem Japanischen und bezeichnet das Geräusch von vielen Stimmen. Pecha Kucha Abende gibt es mittlerweile in mehr als 800 Städten weltweit. In Berlin finden schon seit 2005 regelmäßig Abende statt, deren thematische Vielfalt traditionell besonders groß ist.
Das Video der Präsentation ist online: http://pechakucha.de/berlin/48-2/
Wo?
heimathafen neukölln
karl-marx-str 141
12043 berlin
U7-karl-marx-strasse
Hatten Schäferhunde eine Mitschuld an der Nazi- und SED-Diktatur?
Machte der Fall der Berliner Mauer Kaninchen zu den eigentlichen Leidtragenden? Waren Hunde als „Napfsoldaten“ „Täter“ oder doch „Opfer“ totalitärer Diktaturen? Solche und ähnliche Behauptungen,
vorgetragen auf einer akademischen Konferenz und veröffentlicht in der Fachzeitschrift "Totalitarismus und Demokratie" des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung in Dresdan, sind als
„Schäferhund-Hoax“ bekannt geworden.
Sie haben (nicht nur) den Geschichtswissenschaften eine unangenehme
Diskussion beschert. Der Band greift die von diesem Wissenschaftsschwindel mit durchaus ernstem Anliegen ausgehenden Impulse auf, diskutiert und analysiert: auf dem Prüfstand stehen
Qualitätsstandards, kritische Urteilskraft und Ideologieanfälligkeit der Geistes- und Sozialwissenschaften im Allgemeinen und der Human-Animal-Studies im Besonderen.
Die Herausgeber und Autor*innen nahmen den Schäferhund-Hoax zum
Anlass für eine kritische (Selbst-)Befragung. Dieses Buch präsentiert die Ergebnisse eines Workshops, ergänzt um mehrere eigens hierfür geschriebene Beiträge. Gleichzeitig enthält es den damals
zurückgezogenen Hoax-Aufsatz als Quellentext sowie Interviews mit den unmittelbar Involvierten. Der Band ist Dokumentation, Diskussion und bietet Denkanstöße für notwendige
Debatten.
Mit Beiträgen und Interviews von und mit: Sven Schultze, Enrico
Heitzer, „Christiane Schulte und Freund_innen“, Markus Kurth, Aiyana Rosen, Helen Keller, Ilko-Sascha Kowalczuk, Heiko Werning, Florian Peters, Thomas Hoebel, Antonia Schmid, Peter Ullrich,
Oliver Lauenstein, Heiner Stahl und Peter Boghossian.
Veranstalter: KZ-Gedenkstätte Neuengamme in Kooperation mit der Forschungsstelle für
Zeitgeschichte
Leitung: Dr. Oliver von Wrochem, Cornelia Siebeck, Dr. Susann Lewerenz
Veranstaltungsort: KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Jean-Dolidier-Weg 75, 21039 Hamburg, Studienzentrum
Datum: 15.–16. Februar 2018
In seiner 1987 veröffentlichten Streitschrift ›Die zweite Schuld oder Von der Last Deutscher zu sein‹ konstatierte Ralph Giordano zahlreiche Versäumnisse im Umgang mit dem Nationalsozialismus und problematisierte deren Auswirkungen. Die bundesrepublikanische Demokratie, so seine zentrale These, gründe auf einem ›großen Frieden mit den Tätern‹. Nach wie vor sei ihre politische Kultur von ideologischen Kontinuitäten und Entlastungsbedürfnissen geprägt. Die Mitwirkung älterer Generationen am NS-Regime werde tabuisiert, die Bedrohung der Demokratie vonseiten des rechten politischen Spektrums systematisch ignoriert. Giordano kritisierte auch den ›verordneten Antifaschismus‹ in der DDR: Der antifaschistische Widerstand werde zur Stabilisierung des SED-Regimes instrumentalisiert, die Gesellschaft davor bewahrt, sich mit ihrer historischen Mitverantwortung zu befassen.
Ich hatte das Vergnügen einen Beitrag beisteuern zu dürfen zu folgendem Band:
25 Objekte erzählen eine kleine Geschichte der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Dafür haben die Autorinnen und Autoren den Objekten mit viel Einfühlungsvermögen ihre Geschichte(n) abgelauscht. Sie zeugen von vielen Begebenheiten und Erfahrungen, von Themen und Personen, die die Stiftung durch ein Vierteljahrhundert der Erinnerung und des Gedenkens, des Neubeginns und der Spurensicherung begleitet und beschäftigt haben. Fesselnde Essays werden zu einer großen Erzählung, chronologisch geordnet nach dem Fortschritt bei der Neugestaltung der historischen Orte: über die nationalsozialistischen Konzentrationslager Oranienburg, Sachsenhausen und Ravensbrück, die provisorische Raststätte des Todesmarsches im Belower Wald, die Euthanasie-Anstalt in Brandenburg an der Havel und das Zuchthaus Brandenburg-Görden, aber auch über das sowjetische Speziallager Nr. 7/Nr. 1 in den vormaligen Häftlingsbaracken des KZ Sachsenhausen und das zum sowjetischen Geheimdienstgefängnis umgebaute Pfarrhaus in der Potsdamer Leistikowstraße.
Das Thema lautete "Bildungsarbeit in Gedenkstätten – Herausforderungen, Chancen und Spannungsfelder " . Ich hielt einen Vortrag mit dem Titel "Der Umgang mit der mehrfachen Vergangenheit in der pädagogischen Arbeit der Gedenkstätte Sachsenhausen". Da ich lange in Halle studiert und gelebt habe, kannte ich die Gedenkstätte und ihre Ausstellungen zur NS-Zeit sowie der Zeit nach 1945 bereits ziemlich gut. Stark beeindruckt hat mich die Führung durch die JVA Halle, in der nicht nur historische Sachverhalte wie die Baugeschichte thematisiert wurden, sondern auch aktuelle Fragen zur Sprache kamen. Wir besichtigten u.a. eine Zelle, in der heute Suizidgefährdete untergebracht werden.
Dokumentation von Teilen meiner Eröffnungsrede:
Sammeln und Erforschen, Dokumentieren und Ausstellen, dies sind die vier klassi-schen Aufgabenfelder traditioneller Museen. Mit der zunehmenden zeitlichen Distanz zu den historischen Ereignissen wächst die Bedeutung musealer Tätigkeiten auch in den Gedenkstätten.
Die Werkstattaustellungen der Gedenkstätte zeigen Ergebnisse und Erfolge unserer Sammeltätigkeit. Unser Depot ist gerade in ein neues Gebäude umgezogen und wird demnächst in einem gesonderten Veranstaltung eröffnet. Im Vorgriff auf spätere Ausstellungen versuchen die Werkstattausstellungen, anhand der konkreten Geschichte von Gegenständen und Archivalien Schlaglichter auf einzelne Ereignisse und Vorgänge zu werfen.
Zukünftige Ausstellungen der Gedenkstätte profitieren inhaltlich und gestalterisch entscheidend von neuen Exponaten. Archiv und Sammlungsdepot der Gedenkstätte Sachsenhausen bitten daher alle Besucher, ihnen entsprechende Objekte und Dokumente zur Verfügung zu stellen. Wir freuen uns über Hinweise zu den ausgestellten Materialien.
Doch ich will noch etwas anderes kurz ansprechen: Das Museum ist Sacharchiv, ist Sammel- und Zeigeort der materiellen und dreidimensionalen Kultur. Der entschiedene Hinweis auf die Materialität ist deshalb nicht unwichtig, weil ihr, der Materialität, bestimmte „mnemotechnische Energien“ eigen sind, um einen Begriff des Kunsthistorikers Aby Warburg zu bemühen. Die Materialität sichert Dauerhaftigkeit und Anschaulichkeit. Im Vergleich zu anderen Zeichen, wie etwa Emotionen und Gedanken, sind Dinge, Objekte, Artefakte oder Überreste besonders konkret und permanent.
Doch über die Frage der Präsentation gab es vielfach Streit. In den Auseinandersetzungen um die Theorien zu Ausstellungen wurde vor vierzig Jahren beispielsweise wieder die Behauptung aufgestellt, dass Objekte sich selbst vermitteln könnten. In diesem Zusammenhang wurde sogar, wie Detlef Hoffmann berichtete, die Forderung erhoben, jedem Museumsmann oder -frau einen „hippokratischen Eid" zugunsten der Objekte abzunehmen, ein besonders pathetischer Aphorismus. Damals wurde von Vertretern dieser Auffassung fast selbstverständlich jede Form der Vermittlung dem Verdacht unterworfen, sie stelle sich in den Dienst von Propaganda und Manipulation. Doch zum Glück hat sich diese radikale Position letztlich nicht dauerhaft etablieren können, gerade auch nicht an Orten wie diesen. Objekte oder Artefakte sagen nichts über sich selbst aus. Sie sind herausgerissen aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang. Es bedarf des Kontextes. Die Objekte müssen in Ausstellungen wieder in ihren ursprünglichen Zusammenhang eingeordnet werden. Das Herz vom Nikolaustag 1947, das Leonore Fink, heute Bellotti, in mühsamer Handarbeit in ihrer Baracke hergestellt hat, ist ein gutes Beispiel dafür. Wir haben es auf die Einladungsflyer für die Ausstellung gedruckt. Sie werden vielleicht überrascht sein, wie klein es in Wirklichkeit ist.
Ohne Wissen über die Entstehungshintergründe ist es ein hübsches Kleinod. Ähnliche Objekte gab es auch in Lagern und Gefängnissen völlig anderer Kontexte. Sie stellen eine Herausforderung für die museale Präsentation dar, weil sich ihre Bedeutung erst durch die Erläuterung des Entstehungskontextes erschließt. Es handelt sich zudem um Gegenstände mit einer kontrafaktischen Anmutung. Eigentlich repräsentieren sie Mangel, Beschäftigungslosigkeit und Isolation, zeigen aber vordergründig das Gegenteil. Leonore Bellotti wird uns gleich im Gespräch diesen Kontext liefern. Sie wird berichten, unter welchen Umständen das Stoffherz und andere Objekte entstanden sind, die nun in einer Vitrine einem größeren Publikum zugänglich gemacht werden.
Zudem ist an Orten mit zweifacher Vergangenheit wie Sachsenhausen ist die Darstellung des historischen Kontextes von herausgehobener Bedeutung, weil die Unterschiedlichkeit verschiedener historischer Nutzungsphasen und Lagertypen sonst nicht vermittelt werden kann.
Diese Ausstellung, die heute eröffnet wird, thematisiert anhand exemplarisch ausgewählter Exponate, die erstmals öffentlich gezeigt werden, die Breite und Vielfalt von Nachlässen ehemaliger Speziallagerhäftlinge, die in den letzten Jahren an die Gedenkstätte Sachsenhausen übergeben wurden. Die Ausstellung ist biographisch angelegt und widmet sich vor allem der individuellen Erinnerung und Verarbeitung der Hafterfahrungen, aber auch anderen Aspekten des Themas.
Ich habe nun die Freude, das Wort an Leonore Bellotti zu übergeben, die uns nicht nur viele der Exponate übergeben hat, die wir nun zeigen, sondern auch in vielfältiger Form mit der Gedenkstätte zusammenarbeitet. Sie hat ihre Familie mitgebracht und wird sich hoffentlich auch nachher noch in der Führung einbringen, etwas, das mir auch Hubert Polus versprochen hat, der uns ebenfalls ein kleines Herz, ein Stoffpüppchen, aber auch getrocknete und konservierte Blätter einer Pflanze übergeben hat, über deren Bewandtnis er uns nachher aufklären wird.
TENTATIVE PROGRAM
SESSION 1. – 9 NOVEMBER 2017
I. Opening Panel: The Hidden Hand of Intelligence.
Chair: Michael Herman (Oxford Univ.)
Joseph Wippl (Boston Univ.), Intelligence Collection and Covert Action before 1989 after 1989 and then since 2001 [tbc].
Michael Goodman (King’s College, London), British covert action, stability and influence during the Konfrontasi in Indonesia.
Jacek Tebinka (Gdańsk Univ.), Information Research Department and Communist Poland 1956-1977. The Case of Political Warfare.
Thomas W. Friis (South Denmark Univ.), Disinformation, Surveillance, Fear, and Security.
Johan Matz (Uppsala Univ.), Soviet disinformation in the case Raoul Wallenberg.
Find out more about the ANR project “Nazi War Crimes in Court” here
Partners: CEFRES, March Bloch
Center, CERCEC, CEFR, GDR “CEM” and CERHEC
Time & Venue: 12-14
Octobre 2017, CEFRES, Prague
Language: English
Read the call for papers here
Unser Panel
075. The German Democratic Republic: Difficult Legacies
Schülerprojekt und Dokumentarfilm mit dem ehemaligen Häftling Reinhard Wolff zum Speziallager Sachsenhausen „Alles um zu überleben – Reinhard Wolff. Als Jugendlicher im sowjetischen Speziallager Sachsenhausen“, Dokumentarfilm
Im Schuljahr 2016/2017 entstand mit Förderung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in der Gedenkstätte Sachsenhausen in Kooperation mit Waidak Media e.V. und dem Georg-Mendheim-Oberstufenzentrum in Oranienburg ein Film über Reinhard Wolff, der als Jugendlicher drei Jahre lang im sowjetischen Speziallager in Sachsenhausen inhaftiert war.
Der 88‐jährige Reinhard Wolff, der von 1945 bis 1948 als angeblicher Werwolf im sowjetischen Speziallager Nr. 7 in Sachsenhausen inhaftiert war, engagiert sich bis heute unermüdlich für die Erinnerung an die sowjetischen Lager der Nachkriegszeit, u.a. in der Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945‐1950 e.V.. Wolff sitzt zudem in der für die Zeit des Speziallagers verantwortliche Beiratskommission II der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und stellt sich regelmäßig für Zeitzeugengespräche an der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen zur Verfügung, die etwa im Rahmen der internationalen Workcamps jeden Sommer stattfinden. So lag es nahe, im Rahmen eines Schülerprojekts einen Film über ihn und sein Schicksal zu drehen.
22.-24. Juni 2017
Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung und der Stiftung Topographie des Terrors Berlin
Programm
Führungen durch die Gedenkstätte
Donnerstag, den 22. Juni, 10 Uhr
Samstag, den 24. Juni, 14 Uhr
Allgemeine Führung zur Geschichte des Konzentrationslagers Sachsenhausen und der
aktuellen Angebote der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen
Fakultatives Angebot mit Anmeldung. Die Führung dauert ca. zwei Stunden.
Donnerstag, den 22. Juni
Ab 13.00 Uhr Seminaranmeldung und Imbiss
14:00 Uhr Begrüßung
Prof. Dr. Günter Morsch, Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen
Dr. Thomas Lutz, Leiter des Gedenkstättenreferats der Topographie des Terrors
14:30 Uhr Bilanz der Täterforschung zu Konzentrationslagern - SS und Polizei
Prof. Dr. Nikolaus Wachsmann, Birkbeck College der University of London
Strukturen der Gewalt – Das KZ-System im Kontext der NS-Vernichtungspolitik
Prof. Dr. Frank Bajohr, Zentrum für Holocaust-Studien des Instituts für Zeitgeschichte München
Täter und „Tätergesellschaft“ – Die „Volksgemeinschaft“ als Konzept zur Erklärung der Gewaltexzesse im Nationalsozialismus
Leitung: Prof. Dr. Günter Morsch, Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten /
Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen
16:30 Uhr Kaffeepause
Prof. Dr. Alfons Kenkmann, Historisches Seminar der Universität Leipzig
Täter im Nationalsozialismus – Historisches Lernen und Lerntransfer
Anschließend Diskussion auf dem Podium und mit den Plenumsteilnehmenden
Leitung: Hanna Liever, Bundeszentrale für Politische Bildung
19:00 Uhr Abendessen in der Orangerie im Schlosspark
(Kanalstraße 26A, 16515 Oranienburg)
Individueller Erfahrungsaustausch
von Sabine Stach, Deutsches Historisches Institut, Warschau
Immer häufiger ist in den letzten Jahren von einer erinnerungskulturellen Wende hinsichtlich der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft die Rede. In Deutschland wird nicht nur im wissenschaftlichen Diskurs über ein "neue[s] Unbehagen an der Erinnerungskultur" [1] debattiert. Auch in der medialen Öffentlichkeit wurden wir jüngst Zeugen gezielter Angriffe auf den bisherigen bundesrepublikanischen Erinnerungskonsens. [2] Ebenso hat die Geschichtspolitik in Polen mit dem Regierungswechsel 2015 eine deutliche Verschärfung erfahren, wie etwa die omnipräsente Kritik an der (falschen, aber durchaus nicht omnipräsenten) Bezeichnung "polnische Konzentrationslager" zeigt. Diese aktuellen Entwicklungen fallen zusammen mit einem nicht zu vernachlässigenden Fakt: Dem Sterben der Zeitzeugen und dem Auftreten neuer Generationen, die ihrerseits neue Medien und neue Bedürfnisse mitbringen.
Haben wir es also mit einer Zäsur zu tun? Und wenn ja, welche Folgen hat dies für die Arbeit von Gedenkstätten an Orten von NS-Verbrechen? Vor welchen Herausforderungen stehen die "authentischen Orte" und was lässt sich über ihren Funktions-, Formen- und Bedeutungswandel in Vergangenheit und Zukunft sagen? Diesen Problemen widmete sich eine deutsch-polnische Tagung, die anlässlich des 70. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkrieges vom Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften und der Gedenkstätte Sachsenhausen gemeinsam organisiert worden war und deren Beiträge der vorliegende Band versammelt.
Harald Beer, ehemaliger Häftling des sowjetischen Speziallagers in Sachsenhausen, stellte am 6. April 2017 in der Gedenkstätte Sachsenhausen sein Buch „Auch ich war ein Nazi“ vor. Darin setzt er sich selbstkritisch mit seiner eigenen Kindheit und Jugend im „Dritten Reich“ auseinander. Zu dieser Veranstaltung laden wir alle Interessierten herzlich ein. Der Eintritt ist frei.
Harald Beer (Jg. 1928) war von 1947 bis 1950 im sowjetischen Speziallager Sachsenhausen inhaftiert. In dieser Zeit beginnt er zu ahnen, was die Opfer des nationalsozialistischen Terrors am gleichen Ort kurz zuvor erlitten haben müssen. Zunehmend treibt ihn der Gedanke um, wie solche Terrorsysteme entstehen können. Von hier ist es nur ein Schritt zur Frage nach einer eigenen Mitschuld. Dabei kommt der Autor zu einer bemerkenswerten selbstkritischen Einsicht: „Ich beschuldige mich selbst nicht für etwas, was ich getan habe; aber ich schäme mich für das, was ich nicht getan habe.“
Mit seinen detailliert geschilderten Erinnerungen an die eigene Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus widerspricht Harald Beer der so oft gehörten Ausrede, man „habe ja nichts gewusst“.
Harald Beer hat eine eigene Website: https://www.auch-ich-war-ein-nazi.eu
Das Buch erschien im Leipziger Universitätsverlag, hat 251 Seiten, ISBN 978-3-96023-024-3, 19.90 €
Über die Veranstaltung wurde in der Presse berichtet.
Eine interessante und inspirierende Konferenz ist zu Ende gegangen. Ich habe viele gute Vorträge gehört, habe diskutiert, Neues gelernt und auch etliche alte Bekannte wiedergetroffen.
Das Programm zur Konferenz findet sich hier.
Das Geschichtsfernsehen CSPAN hat die meisten Vorträge aufgezeichnet. Leider lassen sich die Videos nicht einbinden. Meinen Vortrag, den ich auf dem von Jeffrey Herf hervorragend moderierten Panel III: "Transatlantic Intelligence and Eastern Europe" neben Katalin Kádár Lynn, Mark Stout und Nicholas J. Schlosser hielt, lässt sich hier ansehen. Ich habe viel über die Organisation MHBK ("Kameradenvereinigung der Ungarischen Kämpfer" / "Magyar Harcosok Bajtársi Szövetsége") gelernt.
Aus der Rezension von Siegfried Heimann:
Nun aber liegt mit der umfänglichen quellengesättigten Studie von Enrico Heitzer, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Gedenkstätte Sachsenhausen, eine historische Untersuchung über die KgU vor, die mit der verklärenden Legende um die KgU endgültig aufräumt. […]
Der Autor kann in den drei Teilen der Arbeit, die der „Organisation“, den „Personen“ und schließlich den „Aktionen“ gewidmet sind, diesen Befund auch in einen größeren Zusammenhang stellen, der es ihm erlaubt, in seinem Schlussteil über die „Gegen- und Rückschläge“ das Ende und die „Abwicklung“ der Organisation plausibel zu erklären. Dabei lässt der Autor keinen Zweifel daran, dass Opposition und Widerstand gegen die DDR-Diktatur gerechtfertigt war und Unterstützung verdiente. Aber der Autor macht auch deutlich, dass es nicht gleichgültig ist, mit welchem Personal und mit welcher Zielsetzung diese Unterstützung organisiert wird. Unter dem „antikommunistischem Dach“ der KgU verbarg sich vieles, was den Kampf gegen eine Diktatur zunehmend diskreditierte. Die „Vielschichtigkeit“ unter diesem „Dach“ ins Licht gerückt zu haben, ist das Verdienst dieser Arbeit.
Enrico Heitzer, Günter Morsch, Robert Traba, Katarzyna Woniak (Hrsg.)
Von Mahnstätten über zeithistorische Museen zu Orten des Massentourismus?
Gedenkstätten an Orten von NS-Verbrechen in Polen und Deutschland, ISBN 978-3-86331-325-8, 19.00 €
Reihe Forschungsbeiträge und Materialien der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Band 18
Unter grundsätzlich unterschiedlichen Ausgangsbedingungen entstand in Polen, in der DDR sowie der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 eine Vielzahl von Gedenkstätten, Museen und Mahnmalen, die an die deutschen Verbrechen in der Zeit der NS-Diktatur erinnern. Nach 1989/90 kam es sowohl in Polen als auch in Deutschland zu einer gesellschaftlich-politischen Neubestimmung der Rolle der NS-Gedenkstätten. Mit dem zunehmenden Abstand zu den historischen Ereignissen, mit dem Sterben der Zeitzeugen und unter neuen politischen Rahmenbedingungen veränderten sich die Gedenkstätten in beiden Ländern sehr stark. Der Band dokumentiert die Beiträge einer polnisch-deutschen Tagung, die den 70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges zum Anlass nahm, eine Zwischenbilanz der jeweiligen erinnerungskulturellen Entwicklung zu ziehen. Polnische und deutsche Historiker und Gedenkstättenexperten nutzten die vom Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften (PAN) und von der Gedenkstätte Sachsenhausen organisierte Konferenz, um kritisch über den Funktions- und Bedeutungswandel der Gedenkstätten und über die Zukunft der Erinnerungskultur in beiden Nachbarländern zu diskutieren.
Im Kontext des 70. Jahrestags des Endes des Nürnberger Hauptprozesses im Jahr 2016 und aktuell geführter Debatten über das weitgehende Scheitern der nachkriegsdeutschen Justiz bei der Verfolgung der Täter lohnt sich eine Retrospektive und Reflexion der Geschichte der ersten NS-Prozesse sowie deren Folgen für spätere Aktivitäten auf diesem Feld. Ein Jahr nach der Nürnberger Urteilsverkündung hielt das sowjetische Militärtribunal der Garnison Berlin vom 23. Oktober bis zum 1. November 1947 im Berliner Stadtteil Pankow einen öffentlichen Prozess gegen einen Großteil der wichtigsten SS-Angehörigen des Kommandanturstabes aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen ab (bekannt als „Sachsenhausen-Prozess“). Aufgrund der Tatsache, dass es sich um den ersten öffentlichen sowjetischen Prozess außerhalb der Sowjetunion handelte, unterlag er einer politischen Instrumentalisierung sowie einer starken Medialisierung. Es traten aber auch ehemalige Häftlinge als Zeugen auf. Im Publikum saßen neben Anna Seghers auch Politiker wie Otto Grotewohl und Wilhelm Pieck. In der Presse waren zahlreiche Berichte zu finden, die auch die Perspektive der Opfer spiegelten.
Das CBH PAN organisiert im November 2016 gemeinsam mit der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen eine wissenschaftliche Konferenz über die Kontexte der Prozesse in Nürnberg und Pankow. Angesichts der unmittelbaren Nachbarschaft zum damaligen Verhandlungsraum im Rathaus Pankow soll auch über die Funktionen des authentischen Ortes diskutiert werden.
24. November 2016 Donnerstag
(Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen)
Busshuttle von Berlin Hbf. / Europaplatz
14 Uhr und 17 Uhr, zurück nach der Veranstaltung nach S-Bahnhof Pankow
15.00-17.00 Führung durch die Gedenkstätte Sachsenhausen
18.00 Eröffnungsvorträge
Wolfgang Benz
Erschießen oder aburteilen? Interalliierte Beschlüsse zum Umgang mit den NS-Tätern
Andreas Wirsching (Institut für Zeitgeschichte München Berlin)
„Moralische Schuld" im NS-Regime zwischen Gewissen und Justiz
Anschließend Empfang
Vom 16. bis 22. Oktober 2016 fand die inzwischen jährlich durchgeführte Internationale Sommeruniversität für Nachwuchswissenschaftler*innen „Die Lehren des 20. Jahrhunderts: Erinnerung an den Totalitarismus in Museen, an Gedenkstätten, Archiven und modernen Medien in Russland und Deutschland“ in Moskau und Perm/Ural statt. Organisiert wird dieses außergewöhnliche Forum für Nachwuchswissenschaftler*innen von der Friedrich-Ebert-Stiftung Moskau, dem Petersburger Dialog, dem Russischen Staatsarchiv für sozio-politische Geschichte (RGASPI) und dem Staatlichen Museum zur Geschichte des Gulag in Moskau. Nicht mehr mit von der Partie war dieses Jahr leider die Gesellschaft Memorial, obwohl einige Forscher*innen und Aktivist*innen von dieser Organisation bzw. aus deren Umfeld teilnahmen und sich auch mit Beiträgen einbrachten.
Nach dem Auftakt im GULag-Museum in Moskau, dessen neue Ausstellung vor einem Jahr eröffnet wurde, ging es am nächsten Tag zum „Butovo Polygon“, eine der Haupthinrichtungsstätten des Großen Terrors der Jahre 1937/8. Das Museum ist sowohl gestalterisch als auch inhaltlich gelungen, wenn auch das Thema der Täter eher beiläufig Erwähnung findet. Es dort begrüßten Roman Romanow, Direktor des GULAG-Museums, Michail Fedotow, Co-Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Zivilgesellschaft“ des „Petersburger Dialogs“ & Vorsitzender des Rats des Präsidenten der Russischen Föderation für die Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte, Jens Hildebrandt, stellvertretender Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung Moskau, ein Vertreter der deutschen Botschaft und Andrei Sorokin, Direktor des Russischen Staatliches Archivs für soziale und politische Geschichte (RGASPI).
Ein Schäferhund des Zolls an der deutsch-deutschen Grenze 1984
Vincent Kitts / DoD photo, USA ID: DAST8512349 / Public Domain
Vor ein paar Tagen trat eine Gruppe namens "Christiane Schulte und Freund_innen" mit einem "Plädoyer gegen den akademischen Konformismus" an die Öffentlichkeit und entlarvte einen Vortrag und einen Aufsatz über den "Deutschen Schäferhund im Zeitalter der Extreme" in der wissenschaftlichen Zeitschrift "Totalitarismus und Demokratie" als satirische Intervention. Die Zeitschrift wird vom Hannah-Arendt-Institut herausgegeben und erscheint bei Vandenhoeck & Ruprecht. Die Gruppe wollte damit nach eigenem Bekunden den Jargon "der 'Human Animal Studies' (HAS)" als "das Vokabular der neuesten akademischen Mode [...] und gleichzeitig [die] altbekannte Rhetorik zum 'DDR-Unrechtsstaat'" kritisieren.
Inzwischen haben sich einige Autorinnen und Autoren im Netz geäußert.
Ich hatte bereits im vergangenen Jahr nach der Lektüre des Tagungsberichtes bei H-Soz-Kult gewisse Zweifel an den steilen Thesen von "Christiane Schulte". Sie hatte ihren Vortrag vollständig bei Youtube hochgeladen. Leider ist der Link inzwischen tot und ich habe das Video (nur Tonspur) nicht gesichert. Ich suchte den Kontakt, was sich als ziemlich mühsam herausstellte. Diese "Christiane Schulte" war an keiner Uni bekannt. Keine Website präsentierte ihr Dissertationsprojekt. Es gab eine Facebook-Seite. Schließlich bekam ich von den Tagungsveranstaltern eine WEB.DE-E-Mail-Adresse. Dorthin schrieb ich am 20. Mai 2015:
"in Ihrem Vortrag „Der deutsch-deutsche Schäferhund“, den Sie dankenswerterweise bei Youtube zugänglich gemacht haben, reden Sie unter anderem auch darüber, dass Sie Belege für Kontinuitäten bei der Nutzung des "lebenden Inventars" (sprich von Wachhunden) des KZ Sachsenhausen im sowjetischen Speziallager ebendort gefunden hätten. Haben Sie diese Erkenntnisse bereits veröffentlicht? Wo kann man dazu genauere Informationen erhalten?"
Als Antwort erhielt ich am 22. Mai 2015:
"Lieber Herr Heitzer,
vielen Dank für Ihre Nachricht. Ich freue mich über Ihr Intersse an meinem Vortrag. Gerade überarbeite ich ihn für die Publikation. Er soll in der zweiten Jahreshälfte in der Zeitschrift "Totalitarismus und Demokratie" erscheinen, aber ich muss noch einige Änderungen vornehmen, weshalb ich den Text noch nicht herausgeben möchte. Gern kann ich Sie aber informieren, sobald der Text erschienen ist.
Mit freundlichen Grüßen,
Christiane Schulte"
Nachdem ich Ende November 2015 noch einmal nachgefragt hatte, erhielt ich am 16. Dezember die Mail. dass der Text endlich erschienen sei. Ein paar Stunden später hatte unsere Bibliothek eine Kopie besorgt.
Ich hatte u.a. folgendes geschrieben:
"soeben ist das neue Heft von „Totalitarismus und Demokratie“ erschienen. Darin findet sich ein Aufsatz, der u.a. belegen will, dass vor und nach 1945 dieselben Hunde im Lager Sachsenhausen genutzt worden sein sollen. Mir gegenüber wollte die Autorin die Quelle für diese Aussage bei einem Vortrag in Berlin vor ein paar Monaten nicht offenlegen. Sie verwies darauf, dass sie bald einen Aufsatz veröffentliche. Bis ich diesen gelesen und die Aussagekraft der Quellen nicht selbst geprüft habe, halte die o.g. Behauptung für Quatsch, weil allein die Logik zumindest große Zweifel evoziert, etwa davon auszugehen, dass die Hunde im halben Jahr zwischen den Todesmärschen und der Befreiung des Konzentrations- und der Einrichtung des Speziallagers einfach brav (ohne Futter?) in ihren Zwingern geblieben sein sollen."
Thomas Boghardt vom U.S. Army Center of Military History, Washington, D.C., hat mein Buch zur Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU) im aktuellen Heft der "Studies in Intelligence" besprochen. Vollständig zu finden hier: https://www.cia.gov
"In his doctoral dissertation, German historian Enrico Heitzer has produced the definitive study of the KgU, including careful documentation of the organization’s numerous links to US intelligence agencies. Heitzer’s book is comprehensive, well-organized, and thoroughly researched. [...]
The relationship between the KgU and US intelligence is best described as a partnership between two independent parties with identical goals—the weakening of the East German regime through espionage and covert action. In this bargain, the CIA contributed funds and guidance, and occasionally intervened on behalf of the KgU with the West German government and judiciary. In exchange, the KgU provided information and manpower, and absorbed massive MfS counter-strikes: numerous KgU agents were kidnapped, arrested, and received long prison sentences, and at least 126 were executed. The intensity
of the MfS’s response to the KgU’s operations suggests that the group had at least some impact in East Germany. [...]
Heitzer delivers a nuanced and detailed study of the KgU, however, his own assessment of the group grew more negative in the course of his research. [....] Readers may make up their own minds, but whatever one’s take on the KgU, no one will be able to discuss this controversial organization and its place in early Cold War Germany without taking into account Heitzer’s excellent book."
Ich habe bereits an anderer Stelle über das Buch, an dem ich mitgearbeitet habe, berichtet.
Ines Reich / Maria Schultz (Hgg.): Sprechende Wände. Häftlingsinschriften im Gefängnis Leistikowstraße Potsdam (= Forschungsbeiträge und Materialien der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten; Bd. 13), Berlin: Metropol 2015, 464 S., ISBN 978-3-86331-147-6, EUR 24,00
von Andreas Hilger
Die Gedenkstätte Leistikowstraße hat vor Jahren mit einer gut kuratierten, jedoch kontrovers diskutierten ständigen Ausstellung von sich reden gemacht. [1] Der nun von Ines Reich und Maria Schultz herausgegebene und anspruchsvoll gestaltete Band bietet Ergebnisse eines ebenso aufwändigen wie wichtigen Forschungsprojekts der Einrichtung. Früher, von 1945 bis 1991, befand sich dort ein Untersuchungs- und Transitgefängnis der sowjetischen militärischen Spionageabwehr. Die Gesamtzahl der Insassen ist bis heute unbekannt. Unstrittig ist, dass Militärs und Zivilangestellte der sowjetischen Streitkräfte das Gros der Häftlinge ausmachten. Ihnen legten die Behörden politische, insbesondere ab den 1950er-Jahren vor allem Kriminalverbrechen zur Last. Daneben kamen bis 1954/1955 Deutsche ebenfalls in das Gefängnis. Sie wurden ausnahmslos "konterrevolutionärer", d.h. politischer, Vergehen beschuldigt. Heute lassen in der Leistikowstraße die früheren Zellen die Torturen des stalinistischen Strafsystems wie die extremen Haftbedingungen auch post-stalinistischer Jahre erahnen. Dazu tragen nicht zuletzt die 1500 erhalten gebliebenen Inschriften bei, die Insassen während ihres Aufenthalts in den kalten und kargen Zellen mit Nägeln oder anderen in die Haft geschmuggelten Gegenständen in den Putz ritzten. 900 davon sind Textnachrichten, von denen 400 in deutscher und 500 in russischer Sprache verfasst sind.
Analog zu anderen Erinnerungsstätten, die an ehemaligen Haftorten entstanden und die Spuren der früheren Verfolgungen sichern, hat es sich auch die Gedenkstätte Leistikowstraße zur Aufgabe gemacht, diese Inschriften in mühevoller Kleinarbeit zu restaurieren, sie zu konservieren sowie die dahinter verborgenen Biografien zu rekonstruieren und bekannt zu machen. Damit greifen in der Aufarbeitung Perspektiven von individuellem und gesellschaftlichem Gedenken, der offiziellen Erinnerungspolitik sowie der Geschichtsforschung ineinander. In der konkreten Verbindung von Archäologie und Zeitgeschichte rückt der Band rund 160 Schicksale deutscher Häftlinge aus dem vergessenen Dunkel der Zellen ins Licht. Dass die russischen Inschriften des Zellentrakts nur in einer ersten Kollektivbiografie behandelt werden können, ist vor allem der schwierigen Aktenlage geschuldet.
BUCHVORSTELLUNG
Todesurteile sowjetischer Militärtribunale gegen Deutsche (1944–1947) Eine historisch-biographische Studie
Dienstag, 17. November 2015, 18.30 Uhr
Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen
Besucherinformationszentrum
Straße der Nationen 22
16515 Oranienburg
Mit der Erforschung der Todesurteile Sowjetischer Militärtribunale (SMT) gegen Deutsche in der Zeit von 1944 bis 1947 schließt die vorgestellte Publikation eine Lücke in der Aufarbeitung des Stalinismus und der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Untersuchung basiert auf Recherchen in russischen, deutschen und amerikanischen Archiven und präsentiert sowohl eine statistische und qualitative Auswertung der Urteile als auch eine umfassende biographische Übersicht zu den Verurteilten. Nach aktuellem Stand wurden gegen 3.301 Deutsche Todesurteile verhängt, 2.542 davon nachweislich vollstreckt. Dabei stand die juristische Ahndung von Verbrechen aus der Zeit vor 1945 im Vordergrund. Zwischen 1947 und 1950 war die Todesstrafe ausgesetzt.
Begrüßung
Prof. Dr. Günter Morsch, Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten
Vorstellung der Publikation durch die Herausgeber
Dr. Andreas Weigelt, Dr. Klaus Müller, PD Dr. Thomas Schaarschmidt und PD Dr. Mike Schmeitzner
Moderation
Dr. Enrico Heitzer, Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen
Heute, 19.11.2015, präsentiere und diskutiere ich die Ergebnisse meiner Dissertation im Forschungskolloquium von Prof. Dr. Michael Wildt.
Weiteres hier: Forschungskolloquium zur Geschichte des Nationalsozialismus (HU Berlin), 15.10.2015 – 11.02.2016 Berlin, in: H-Soz-Kult, 01.10.2015, <http://www.hsozkult.de/event/id/termine-28986>.
Presentation
Cold War International History Project
Wed. Oct. 21 2015, 3:00pm — 4:30pm, 4th Floor, Woodrow Wilson Center, Washington DC
The “Fighting Group Against Inhumanity” (“Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit” / KgU) has for a long time been considered the incarnation of both anticommunism and hostility to the German Democratic Republic in both East and West. Founded in 1948 in response to the wave of releases of prisoners from the Soviet “special camps” and resolved during the second Berlin crisis in 1959, the KgU not only undertook humanitarian activities, disseminated leaflets, and took action as intelligence service – it also promoted and temporarily practiced itself violence as a means of resistance against the communist government in Eastern Germany. This study examines the emergence, the organizational structure and the fields of action of this privately run, but politically highly effective organization.
“The book is a scientific work, an analysis, objective and without emotional outbursts or ethical judgments. It is this that makes it so valuable; because its reading is as exciting as a thriller.”
- Egon Bahr
See more here.
Einige der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung in Moskau und Perm Anfang September 2015 äußern sich in einem Video der "Novaya Gazeta" kritisch zum Zustand des Gedenkens in der Gedenkstätte "Perm 36".
In Anschluss daran finden sich die Übersetzungen von zwei zentralen Ausstellungstexttafeln der neuen Ausstellungen der Gedenkstätte, an denen die Ausrichtung des veränderten Narrativs sehr
deutlich wird.
Freundlicherweise darf ich hier eine eigene Übersetzung des Artikels veröffentlichen, der auf Russisch am 15. September 2015 auf dem Portal "Ab Imperio" erschienen ist. Ich danke den
AutorInnen Maria Turgovets, Daria Buteiko und Evgenij Shtorn für die freundliche Erlaubnis. Es wurden stillschweigend einige Kleinigkeiten angepasst, die für deutsche Leser
ansonsten schwerer verständlich gewesen wären.
Fotos: Enrico Heitzer
Nach der Absetzung der Leitung des Museums „Perms-36“ und der Ereignisse, die die ehemalige Leitung als “feindliche Übernahme seitens des Staates“ bezeichnet, kamen Befürchtungen auf, dass sich möglicherweise die Repräsentation des Gedächtnisses an den Terror verändern werde. In vieler Hinsicht wurden diese Befürchtungen während des Besuches des Museums von den Teilnehmern der russisch-deutschen Schule für junge Forscher „Die Lehren des 20. Jahrhunderts: Erinnerung an den Totalitarismus in Museen, an Erinnerungsstätten, Archiven und modernen Medien in Russland und Deutschland“ bestätigt, die von der “Friedrich-Ebert-Stiftung“ mit Unterstützung des “Petersburger Dialogs“ organisiert wurde. Sowohl die Gestaltung der Ausstellung, als auch die Inhalte der Führungen die Erinnerung an den Terror vertuschen und tragen so viel zum Vergessen der authentischen Erfahrung im Hinblick auf dessen Aufarbeitung bei.
Die Ausstellung erstaunt auf unangenehme Weise durch das Fehlen von Quellenangaben, dem Vorstellen von in einem Museum für politische Verfolgung nicht ganz angemessenen Themen, der Verschiebung des Fokus von den politischen Gefangenen auf die Effektivität der Straforgane, dem Versuch den GULAG mit der Industrialisierung und dem Sieg über den Faschismus in Verbindung zu bringen. Allerdings wird das Wort "GULAG" kaum oder in den Führungen überhaupt nicht erwähnt, und den Terror im Lande kann man nur anhand fragmentarischer Zeugnisse erahnen, er ist nicht in die Grundlagen der Ausstellung eingeschrieben. In der Führung verblüfften inkorrekte, oft nicht zum Thema passende, oder offensichtlich falsche Erzählungen der Guides, Vermischung von Tatsachen und Vermutungen. Alles dies erweckt einen Eindruck der Ungeordnetheit, Unseriösität und Beliebigkeit des Gedenkortes für den Terror.
Der Museumsbesuch begann mit einem Überblick der Sicherungssysteme und den diesbezüglichen Geschichten. Während der Erzählung über einen Fluchtversuch in einer der benachbarten Kolonien benutzte der Guide den Ausdruck „getötet wie eine Fliege“. Die Aufmerksamkeit wurde im Verlauf der Führung hauptsächlich der Verwaltung der Kolonie, ihrem Leben und den Bemühungen um Komfort gewidmet. In der Ausstellung, die der Rohholzgewinnung gewidmet ist, wurde sowohl in den Beschriftungen, als auch in der begleitenden Rede die Wichtigkeit dieses Bereiches für den Sieg über den Faschismus unterstrichen. Dort waren auch aus irgendeinem Grunde idyllische Fotografien von fischenden Burschen und lächelnden Frauen in Pelzkleidung und Filzstiefeln zu sehen, die offenbar nicht mit schwerer Arbeit betraut waren.
Wenn man vom Portal NAKANUNE.RU kritisiert wird, das maßgeblich an einer stalinistisch anmutenden Kampagne gegen die Gedenkstätte „Perm 36“ beteiligt ist, hat man wohl etwas richtig gemacht. Angeblich bereiteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer deutsch-russischen Tagung für Nachwuchsforscher eine Provokation vor. Wir sollen, glaubt man der Autorin Anna Smirnowa, geplant haben, die Botschaft zu verbreiten, dass die ehemalige Haftanstalt "Perm 36" "wie ein faschistischen Konzentrationslager" gewesen sei. Das ist solch ein abstruser Blödsinn, dass jeder weitere Kommentar dazu überflüssig ist.
Am 15. August hat die russische Regierung eine staatliche „Konzeption zur Bewahrung des Gedenkens an die Opfer politischer Verfolgungen“ (PDF) beschlossen. Ein Echo in der deutschen Presse ist bislang ausgeblieben. Memorial Deutschland hat aber eine Stellungnahme des Vorsitzenden von Memorial International, Arsenij Roginskij, veröffentlicht, der sich vorsichtig optimistisch äußert.
Im Rahmen einer Tagung, bei der wir auch mit Roginskij und anderen russischen Vertretern von Memorial sprachen, wurde mir von der Friedrich-Ebert-Stiftung Moskau eine Übersetzung des russischen Regierungsdokuments zugänglich gemacht. Weil es ohne Zweifel auch für deutsche Leser von Interesse ist, stelle ich diese hier ein.
<Staatswappen>
REGIERUNG DER RUSSISCHEN FÖDERATION
VERORDNUNG
vom 15. August 2015 Nr. 1561-r
MOSKAU
Das vorliegende Konzept der staatlichen Politik zur Verewigung des Andenkens der Opfer der politischen Repressalien wird gebilligt.
Vorsitzender der Regierung
der Russischen Föderation D. Medwedew
durch die Verordnung der Regierung
der Russischen Föderation
vom 15. August 2015 Nr. 1561-r
KONZEPT
Der staatlichen Politik zur Verewigung des Andenkens
Der Opfer der politischen Repressalien
I. Allgemeine Charakteristik und gegenwärtiger Zustand der Rechtsverhältnisse auf dem Gebiet der Verewigung des Andenkens der Opfer der politischen Repressalien
Charakteristisch für die Entwicklung der Russischen Föderation in der gegenwärtigen Etappe ist die erhöhte Aufmerksamkeit der Gesellschaft für solche wichtigen Faktoren der nachhaltigen Entwicklung des Landes wie die Hebung des Wohlstandes der Bürger und die Vervollkommnung der gesellschaftlichen Verhältnisse. In diesem Zusammenhang ergibt sich die Notwendigkeit, eine effektive Staatspolitik zu entwickeln, damit die Gesellschaft zu einem Konsens bei der Gestaltung der wichtigsten sozialen Werte findet. Dabei geht es um die Schaffung notwendiger sozialer und ökonomischer Voraussetzungen für eine innovative Entwicklung des Landes und ein konstruktives Zusammenwirken der staatlichen Verwaltungsstrukturen mit den Institutionen der Zivilgesellschaft.
Im Konzept der langfristigen sozialökonomischen Entwicklung der Russischen Föderation im Zeitraum bis 2020, das durch die Verordnung der Regierung der Russischen Föderation vom 17. November 2008 Nr. 1662-r gebilligt wurde, wird die führende Rolle bei der innovativen Entwicklung des Landes dem Humankapital zugewiesen, es soll also solch ein sozialkulturelles Milieu geschaffen werden, in dem die Entwicklungsziele der Gesellschaft exakt umrissen und folgende Aufgaben beim Aufbau der nationalen Identität formuliert werden:
Der Aufbau eines Rechtsstaates, dem die Einhaltung der Menschenrechte, der Rechte der sozialen und ethnischen Bevölkerungsgruppen zu Grunde liegen;
die Harmonisierung der interethnischen Beziehungen innerhalb des Landes und Stärkung seines positiven Bildes im Ausland;
die Stärkung der sittlichen Anhaltspunkte für die Entwicklung der Gesellschaft und insbesondere die Herausbildung eines aktiven Patriotismus.
Russland kann nicht in vollem Maße Rechtsstaat werden und eine führende Rolle in der Weltgemeinschaft einnehmen, ohne das Andenken vieler Millionen seiner Bürger, die politischen Repressalien zum Opfer fielen, verewigt zu haben. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die Bewältigung der tragischen Erfahrungen Russlands, die das Land und seine Bürger nach den Oktoberereignissen 1917 erlebten und die mit dem Bruch der Traditionen, dem Verlust der Kontinuität der kulturellen Erfahrungen und der Zerstörung der Bande zwischen den Generationen zu tun hatten. Als Folge der Repressalien musste das Land massive soziale Erschütterungen über sich ergehen lassen. Außer den kolossalen Verlusten während des Bürgerkrieges und des Großen Vaterländischen Krieges erlebte Russland eine ganze Reihe anderer Tragödien:
Die Verfolgungen von Vertretern religiöser Konfessionen;
die postrevolutionäre Auswanderung des gebildetsten Teils der Bevölkerung und die langjährige Diskriminierung jener Vertreter der vorrevolutionären Elite, die es vorzogen in Russland zu bleiben;
die Kollektivierung, die zahlreiche Opfer unter den deportierten und „entkulakisierten“ Bauern forderte und zur Zerstörung der individuellen Bauernwirtschaften führte, die seit Jahrhunderten die Grundlage der nationalen Wirtschaft gebildet hatten;
die mit der gewaltsamen Kollektivierung verbundene Hungersnot, die Millionen Menschenleben dahinraffte;
die Massenrepressalien, bei denen Millionen von Menschen getötet, ins GULAG geschickt, ihrer Habe beraubt und deportiert wurden.
1953 hat die Führung der UdSSR die Rehabilitierung der Opfer der politischen Repressionen eingeleitet. Sie wurde auf Antrag der Geschädigten sowie ihrer Angehörigen durchgeführt. 1955 bis 1962 händigten die Standesämter den Angehörigen der Hingerichteten auf Empfehlung der entsprechenden Behörden Sterbeurkunden mit frei erfundenen Daten bezüglich des Todesdatums und der Todesursache der Hingerichteten aus. Seit 1963 stellten die Standesämter Sterbeurkunden aus, in denen exakt das Datum der Erschießung angegeben war, unter „Todesursache“ aber einfach ein Strich gezogen wurde. Dabei wurden die Orte der Massenerschießungen und Massengräber nicht bekannt gegeben, die entsprechenden Papiere blieben geheim.
1987 wurde der Prozess der Rehabilitierung wiederaufgenommen. Bis dahin harrten in der UdSSR noch Millionen von Opfern der Repressalien ihrer Rehabilitierung. Am 28. September 1987 wurde die Kommission des Politbüros des ZK der KPdSU für zusätzliche Untersuchung der Unterlagen im Zusammenhang mit den Repressalien der 30er, 40er und Anfang der 50er Jahre gebildet. Am 4. Juli 1988 wurde die Verordnung „Über die Errichtung eines Denkmals für die Opfer der Gesetzlosigkeit und der Repressalien“ erlassen.
Am 16. Januar 1989 verabschiedete das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR den Erlass „Über zusätzliche Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit für die Opfer der Repressalien, die es im Zeitraum der 30er, 40er und Anfang der 50er Jahre gegeben hat“. Die außergerichtlichen Urteile der „Troikas“ und „besonderen Konferenzen“ sollten aufgehoben werden. Man unterstützte die Initiativen zur Errichtung von Denkmälern für die Opfer der Repressalien und zur Pflege ihrer Gräber.
Am 14. November 1989 und am 7. März 1991 wurden die Repressionen gegen die Völker, die gewaltsam umgesiedelt worden waren, für gesetzwidrig erklärt und aufgehoben. Am 13. März 1990 wurden die Repressalien der 20er bis 50er Jahre als gesetzwidrig qualifiziert, wobei die Rechte aller Opfer der politischen Repressalien wiederherzustellen waren.
1989 begann der massive Rehabilitierungsprozess. Die Orte der Massengräber wurden gefunden und bekannt gegeben, darunter Kuropaty, Lewaschowo, Butowo und Kommunarka. Es erschienen die ersten Bücher über die Toten und Vermissten im Zusammenhang mit den Repressionen.
Nach den Ereignissen vom August 1991 setzte die Regierung der Russischen Föderation das Rehabilitierungsprogramm fort und unterstützte es auch durch Rechtsakte. Grundsätzlich neu war die Anerkennung der Tatsache, dass es auch vor und nach Stalin politische Repressionen gegeben hat. Am 18. Oktober 1991 wurde das Gesetz der Russischen Föderation „Über die Rehabilitierung der Opfer der politischen Repressalien“ verabschiedet, das bis heute Geltung hat. Es wurde der Tag des Gedenkens an die Opfer der politischen Repressalien am 30. Oktober installiert.
1992 gründete man Kommissionen zur Wiederherstellung der Rechte der rehabilitierten Opfer der politischen Repressalien und verabschiedete folgende Rechtsakte auf diesem Gebiet:
Verordnung des Obersten Sowjets der Russischen Föderation vom 22. Mai 1992 Nr. 2822-I „Über die Ereignisse in der Stadt Nowotscherkassk im Juni 1962“;
Erlass des Präsidenten der Russischen Föderation vom 10. Januar 1994 Nr. 65 „Über die Ereignisse in Kronstadt im Frühjahr 1921“;
Erlass des Präsidenten der Russischen Föderation vom 24. Januar 1995 Nr. 63 „Über die Wiederherstellung der legitimen Rechte der russischen Bürger: der ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilisten, die während des Großen Vaterländischen Krieges und in der Nachkriegszeit repatriiert wurden“;
Erlass des Präsidenten der Russischen Föderation vom 14. März 1996 Nr. 378 „Über die Maßnahmen zur Rehabilitierung der Geistlichen und Gläubigen, die Opfer unbegründeter Repressalien wurden“;
Erlass des Präsidenten der Russischen Föderation vom 18. Juni 1996 Nr. 931 „Über die Bauernaufstände 1918 bis 1922“;
Verordnung der Regierung der Russischen Föderation vom 10. Oktober 1996 Nr. 1247 „Über die Errichtung von Gedenkkomplexen an den Grabstätten der sowjetischen und polnischen Bürger, die den totalitären Repressalien in Katyn (Gebiet Smolensk) und Mednoje (Gebiet Twer) zum Opfer fielen“.
Durch den Erlass des Präsidenten der Russischen Föderation vom 7. November 1996 Nr. 1537 wurde der 7. November zum Tag der Eintracht und Versöhnung erklärt. Unter den wichtigen Ereignissen nach 1996 ist die Rehabilitation der Mitglieder der Zarenfamilie im Jahre 2008 zu erwähnen.
Es erschienen Hunderte von Gedenkbüchern mit den Namen der Gemaßregelten, Tausende von Forschungen und Sammelbänden mit Dokumenten über die Repressionen, man stellte Gedenksteine und Denkmäler für die Opfer der Repressalien auf, man bearbeitete weiter die Archivunterlagen und richtete thematische Ausstellungen in Museen ein.
1991 bis 2014 wurden 3.510.818 Personen rehabilitiert. 264.085 Personen (Kinder der Gemaßregelten) wurden als politisch Gemaßregelte anerkannt und rehabilitiert.
Im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des Föderalen Verfassungsgesetzes vom 21. März 2014 Nr. 6-FKS „Über die Aufnahme der Republik Krim in die Russische Föderation und die Bildung neuer Subjekte – der Republik Krim und der föderalen Stadt Sewastopol im Bestand der Russischen Föderation“ wurde der Erlass des Präsidenten der Russischen Föderation vom 21. April 2014 Nr. 268 „Über die Maßnahmen zur Rehabilitierung der Völker der Armenier, der Bulgaren, der Griechen, der Krimtataren und der Deutschen und die staatliche Unterstützung ihrer Wiedergeburt und Entwicklung“ herausgegeben, laut welchem ein Anstieg der Anzahl der Anträge von Vertretern dieser Völker auf die staatliche Dienstleistung zur Aushändigung von Bescheiden über die Rehabilitation von Opfern der politischen Repressalien zu erwarten ist.
In der Zeit seit 1953 ist der Rehabilitierungsprozess in Russland nicht abgeschlossen worden. Die genaue Zahl der gemaßregelten Personen bleibt unbekannt. Es gibt immer noch kein nationales Denkmal für die Opfer der politischen Repressalien. Die notwendige Arbeit zur Feststellung der Grabstätten der Repressalienopfer ist nicht geleistet worden. In einigen Regionen (Region Altai, Republik Komi, Republik Tatarstan, Gebiete Pskow, Samara u.a.m.) sind fast alle politisch Gemaßregelten namentlich in die herausgegebenen Gedenkbücher eingetragen worden. In einigen Subjekten der Russischen Föderation aber gibt es solche Bücher immer noch nicht. Unzulässig sind die fortdauernden Versuche, die Repressionen durch die Besonderheiten jener Zeit zu rechtfertigen oder sie als Fakt unserer Geschichte gänzlich zu negieren.
II. Allgemeine Thesen, Ziele und Aufgaben des vorliegenden Konzepts
Das vorliegende Konzept ist auf Grund der Bestimmungen entwickelt worden, die im Konzept der langfristigen sozialökonomischen Entwicklung der Russischen Föderation im Zeitraum bis 2020 enthalten sind. Bei der Erarbeitung des vorliegenden Konzepts berücksichtigte man die Bestimmungen der Strategie der nationalen Sicherheit der Russischen Föderation bis 2020, die durch den Erlass des Präsidenten der Russischen Föderation vom 12. Mai 2009 Nr. 537 „Über die Strategie der nationalen Sicherheit der Russischen Föderation bis 2020“ bestätigt worden ist, der Strategie der staatlichen Nationalitätenpolitik der Russischen Föderation für den Zeitraum bis 2025, gebilligt durch den Erlass des Präsidenten der Russischen Föderation vom 19. Dezember 2012 Nr. 1666 „Über die Strategie der staatlichen Nationalitätenpolitik der Russischen Föderation für den Zeitraum bis 2025“, des Staatlichen Programms der Russischen Föderation „Entwicklung von Kultur und Tourismus“ für 2013 bis 2020, bestätigt durch die Verordnung der Regierung der Russischen Föderation vom 15. April 2014 Nr. 315, sowie der Haushaltsbotschaft des Präsidenten der Russischen Föderation über die Haushaltspolitik 2014 bis 2016 sowie die Bestimmungen einiger Programmreden des Präsidenten der Russischen Föderation.
Das vorliegende Konzept beinhaltet die Hauptschwerpunkte, die Formen und Methoden der Maßnahmen zur Verewigung des Andenkens der Opfer der politischen Repressalien. Die wichtigsten strategischen Ziele des vorliegenden Konzepts sind folgende:
Entwicklung und Umsetzung einer effektiven Staatspolitik zur Verewigung des Andenkens der Opfer der politischen Repressalien sowie eines aktiven Patriotismus;
Schaffung notwendiger sozialer Voraussetzungen für die innovative Entwicklung des Landes, die auf der Grundlage eines aktiven Zusammenwirkens mit den Institutionen der Zivilgesellschaft zu gestalten sind;
Weiterentwicklung des intellektuellen und geistigen Humanpotentials.
Damit diese Ziele erreicht werden, müssen bei der Umsetzung dieses Konzepts folgende Aufgaben gemeistert werden:
Schaffung von Voraussetzungen für die Stärkung der moralischen Gesundheit der Gesellschaft, insbesondere durch die Herausbildung von Grundsätzen des aktiven Patriotismus in Partnerschaft mit religiösen und anderen Verbänden;
Schaffung von Voraussetzungen für einen freien Zugang der Bürger zu Archivdokumenten und anderen Unterlagen, die mit den politischen Repressalien verbunden sind, in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Rechtes der Russischen Föderation;
Aufbau einer Infrastruktur im Zusammenhang mit der Verewigung des Andenkens der Opfer der politischen Repressalien, die als Entwicklungsressource der jeweiligen Regionen zu nutzen ist;
Gewährung des Zugangs zu den Gedenkobjekten, die dem Andenken der Opfer der
politischen Repressalien gewidmet sind, für die Bevölkerung;
Entwicklung von Bildungs- und Aufklärungsprogrammen zu diesem Thema.
Die Umsetzung des vorliegenden Konzepts muss in Übereinstimmung mit folgenden Prinzipien erfolgen:
Anerkennung der Kontinuität der historischen Entwicklung der Russischen Föderation;
Bewältigung der Tragik der Gesellschaftsspaltung, die die Ereignisse von 1917, den Bürgerkrieg und die massiven politischen Repressalien nach sich gezogen hat;
Notwendigkeit einer objektiven Analyse sowohl der Errungenschaften der Sowjetzeit als auch ihrer tragischen Kapitel, darunter auch der politischen Massenrepressalien;
Verurteilung der Ideologie des politischen Terrors.
III. Hauptschwerpunkte der Maßnahmen zur Verewigung des Andenkens der Opfer der politischen Repressalien
Im Rahmen der Verewigung des Andenkens der Opfer der politischen Repressalien werden folgende Maßnahmen geplant:
Memorialisierung, d.h. der Aufbau und Weiterentwicklung von Gedenkstätten an den Gräbern der Opfer der politischen Repressalien, die ihr Andenken verewigen;
Gewährleistung des Zugangs zu den Archivdokumenten und anderen Unterlagen, die mit der Problematik der politischen Repressalien verbunden sind, in Übereinstimmung mit dem Recht der Russischen Föderation;
Erarbeitung von Bildungs- und Aufklärungsprogrammen zu diesem Thema mit nachfolgender Aufnahme in die Unterrichtsprogramme der allgemeinbildenden Haupt- und Mittelschulen und in die Sendeprogramme des nationalen Rundfunks und Fernsehens;
Durchführung von Forschungen und Veranstaltungsreihen, die der Verewigung des Andenkens der Opfer der politischen Repressalien dienen;
Festigung der Basis der Museen, Archive, Bildungs- und anderen Einrichtungen, die in Archiven, Bibliotheken, Museen, Gedenkstätten und anderen Einrichtungen Forschungs-, Bildungs- und Aufklärungsarbeit im Zusammenhang mit der Verewigung des Andenkens der Opfer der politischen Repressalien leisten sowie die Jugend im patriotischen Geist erziehen;
Bemühung um die Unterbringung von Ausstellungen, die die Geschichte der Sowjetzeit widerspiegeln, in den entsprechenden musealen Einrichtungen in Übereinstimmung mit den Grundsätzen, die in Teil II des vorliegenden Konzepts dargelegt worden sind;
archäologische und wissenschaftliche Forschungsarbeiten zur Entdeckung der Grabstätten der Opfer der politischen Repressalien;
Aufbau eines gesamtnationalen Informationssystems für die Museen und Gedenkstätten, eines einheitlichen multimedialen Gedenkbuches sowie von Datenbanken zur Verewigung des Andenkens der Opfer der politischen Repressalien;
Gewährleistung des Zugangs zu den Archivunterlagen mit Berücksichtigung der Bestimmungen des Rechtes der Russischen Föderation;
Entwicklung von Lehrbüchern und Unterrichtsprogrammen.
IV. Etappen der Umsetzung des vorliegenden Konzepts
Die Umsetzung des vorliegenden Konzepts ist für den Zeitraum 2015 bis 2019 vorgesehen.
Im Rahmen der Umsetzung dieses Konzepts werden folgende Umsetzungsetappen angedacht:
Etappe I (2015 bis 2016): Die Umsetzung der Hauptmaßnahmen, die mit dem Aufbau der Museen- und Gedenkstättenkomplexe und der thematischen Ausstellungen zur Verewigung des Andenkens der Opfer der politischen Repressalien verbunden sind, sowie die Erarbeitung methodischer Unterlagen für die Entwicklung von Lehrbüchern und Lehrprogrammen, der Aufbau von Datenbanken, die Entwicklung von Buch-, Magazin- und audiovisuellen Produkten, die Durchführung von Forschungen, Konferenzen, Workshops und anderen Veranstaltungen;
Etappe II (2017 bis 2019): Die Vollendung der Arbeiten zur Umsetzung der wichtigsten Projekte auf dem Gebiet der Verewigung des Andenkens der Opfer der politischen Repressalien. Als besonders wichtig wird die Abschlussetappe angesehen, weil zwei Jahrestage in das Jahr 2017 fallen: der 100. Jahrestag der revolutionären Transformationen 1917, die die Spaltung der Gesellschaft und die immensen Bevölkerungsverluste nach sich gezogen haben, und der 80. Jahrestag der Ereignisse von 1937, als die politischen Repressalien gegen die zivile Bevölkerung ihren Höhepunkt erreichten. Der Abschluss der Maßnahmen zur Verewigung des Andenkens der Opfer der politischen Repressalien soll den Aufbau der Grundlagen für das weitere partnerschaftliche Zusammenwirken des Staates und der Zivilgesellschaft fördern.
V. Finanzielle Stützung der Umsetzung des vorliegenden Konzepts
Das vorliegende Konzept soll von Mitteln der entsprechenden Haushalte des Haushaltssystems der Russischen Föderation sowie aus außerbudgetären Quellen finanziert werden.
VI. Bewertung der erwarteten Effizienz und der Ergebnisse der Umsetzung des vorliegenden Konzepts
Durch die Umsetzung dieses Konzepts sollen folgende Ergebnisse erzielt werden:
Festigung des einheitlichen Kulturraums des Landes als Voraussetzung für den Erhalt der staatlichen Integrität Russlands mit seinen zahlreichen Völkern;
Schaffung günstiger Bedingungen für die sozialkulturellen, wissenschaftlichen und Bildungsaktivitäten;
Verbesserung des Zugangs der Bevölkerung zu den Dienstleistungen der Archive und Museen sowie zu den Informationen, die mit den politischen Repressalien verbunden sind, mit Berücksichtigung der Normen des Rechtes der Russischen Föderation;
Aktivierung der sozialökonomischen Prozesse, die zur Weiterentwicklung der Museen- und Gedenkstätteninfrastruktur auf föderaler und regionaler Ebene beitragen;
Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit junger Fachleute im Bereich der Museumskunde, des Archivwesens und der Informationstechnologien;
Steigerung des Umfangs von nichtstaatlichen Ressourcen, die für diesen Bereich akquiriert werden.
Der Wirtschaftseffekt als Folge der Umsetzung des vorliegenden Konzepts soll erzielt werden durch die Akquisition zusätzlicher Investitionen im Rahmen der staatlich-privaten Partnerschaft. Der Aufbau der Museen- und Gedenkstätteninfrastruktur soll die Vielfalt des Pilger-, Erkenntnis- und Erlebnistourismus bereichern, die Frequentierung der Gedenkstätten erhöhen und zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Die Orientierung des vorliegenden Konzepts an Aufbau und Erhalt von Objekten des Kulturerbes soll erlauben, eine Erhöhung der zukünftigen Ausgaben für diese Zwecke zu verhindern.
Die Umsetzung des vorliegenden Konzepts soll erlauben:
Ein einheitliches Gedenkstättennetz zur Verewigung des Andenkens der Opfer der politischen Repressalien aufzubauen;
zu gewährleisten, dass die Investition öffentlicher Mittel in die Umsetzung der nationalen Politik zur Verewigung des Andenkens der Opfer der politischen Repressalien zweckgebunden, konsequent, kontinuierlich und unter Kontrolle erfolgt;
Bedingungen zu schaffen, dass die Werte, die der Weiterentwicklung der Zivilgesellschaft in der Russischen Föderation dienen, gestärkt werden;
innovative Informations- und Kommunikationstechnologien, die der Verewigung des Andenkens der Opfer der politischen Repressalien dienen, zu entwickeln und einzuführen.
Die Effizienz der etappenweisen Umsetzung des vorliegenden Konzepts wird bemessen an der Steigerung folgender Faktoren:
Anzahl der Gedenkobjekte (ständige Ausstellungen, monumentale Kunstwerke u.a.m.) zur Verewigung des Andenkens der Opfer der politischen Repressalien, Anzahl der geschaffenen Expositionen zum Thema Verewigung des Andenkens der Opfer der politischen Repressalien;
Anzahl der geschaffenen Wanderausstellungen zum Thema Verewigung des Andenkens der Opfer der politischen Repressalien;
Anzahl der Mitarbeiter von Einrichtungen aller Rechtsformen im sozialkulturellen Bereich, welche zusätzliche Ausbildung auf dem Gebiet der historischen Erinnerung genossen haben; Anzahl von Veröffentlichungen in föderalen Printmedien und von wissenschaftlichen Studien zum Thema Verewigung des Andenkens der Opfer der politischen Repressalien;
Anzahl von Bildungsprogrammen (Sendungen, Filmen) zum Thema Verewigung des Andenkens der Opfer der politischen Repressalien, die erstellt und von föderalen Rundfunk- und Fernsehkanälen übertragen wurden;
Anzahl von sozialen Werbespots zum Thema Verewigung des Andenkens der Opfer der politischen Repressalien, die erstellt und von föderalen Rundfunk- und Fernsehkanälen übertragen wurden;
Anzahl der Besucher der Internet-Ressourcen zum Thema Verewigung des Andenkens der Opfer der politischen Repressalien;
Anzahl der durchgeführten wissenschaftlichen, kulturellen und Bildungsveranstaltungen zum Thema Verewigung des Andenkens der Opfer der politischen Repressalien auf interregionaler, nationaler und internationaler Ebene;
Anzahl der Studenten, Doktoranden und jungen Forschern, die an den Olympiaden, Wettbewerben der Forschungsarbeiten, Konferenzen und Webinaren zum Thema Verewigung des Andenkens der Opfer der politischen Repressalien teilnehmen.
Von Alexander Walther, Europäisches Kolleg Jena. Das 20. Jahrhundert und seine Repräsentationen, Friedrich-Schiller-Universität Jena
Im Januar 2015 hatte die Fraktion der Alternative für Deutschland im Thüringer Landtag mit einer geplanten Kranzniederlegung in der Gedenkstätte Buchenwald für Aufsehen gesorgt. Anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz, zugleich bundesweiter Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, wollte die AfD einen Kranz, der an alle „Opfer des Konzentrations- und Speziallagers Buchenwald“ erinnern sollte, niederlegen. Nach Protesten wurde die Spruchformel zwar zu einem unkonkreten „In stillem Gedenken“ geändert. Gleichwohl zeigt sich hier, wie auch 25 Jahre nach Beginn der Aufarbeitung der Geschichte der sowjetischen Speziallager diese noch immer polarisieren kann und wie attraktiv eine Gleichstellung und damit Gleichwertung der Konzentrations- und Speziallager mit Rückgriff auf die Totalitarismus-These weiterhin ist.
Die Jahrestage der Einrichtung und Auflösung der sowjetischen Speziallager und der Beginn ihrer Aufarbeitung waren Anlass für die Konferenz „25 Jahre Aufarbeitung der Geschichte der sowjetischen Speziallager“, die vom 25. bis 27. Juni im Goethe-Nationalmuseum Weimar durch die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora in Zusammenarbeit mit der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und der Stiftung Ettersberg veranstaltet wurde.
Ausgangspunkt bildete der Einführungsvortrag von JOST DÜLFFER (Köln). Der „wilde Kontinent“ (Keith Lowe) stand im Zentrum seiner Ausführungen. Dülffer erinnerte an die Komplexität und Vielzahl der Geschehnisse während des Kriegsendes und wies besonders auf die regionalen Unterschiede hin. Während in Westeuropa mit dem 8. Mai tatsächlich die Kampfhandlungen eingestellt worden waren, hielten diese im östlichen und südöstlichen Europa weiterhin an oder begannen von neuem, etwa mit dem Bürgerkrieg in Griechenland. Den chaotischen Zuständen folgten rasch politische Ordnungsversuche, die sich in Ost und West je nach Besatzungsmacht verschieden ausgestalteten. Somit waren auch die Kategorien, nach denen Menschen als Täter, Mitläufer oder Unbelasteter eingestuft wurden, in den Besatzungszonen unterschiedlich. Die ethnischen und sozialen Konflikte seien mit 1945 ebenso wenig überwunden worden, so Dülffer, wie die materiellen und mentalen Folgen des Krieges.
In der anschließenden Podiumsdiskussion wurde von BERND BONWETSCH (Ebeltoft) auf die Wirkmacht der nationalsozialistischen Propaganda und den Mythos der „Werwölfe“ hingewiesen. Die Rote Armee habe bei ihrem Vorstoß einen ähnlich starken Widerstand erwartet, wie etwa in Polen oder der Ukraine. NS-Täter seien durch die sowjetischen Stellen eher aus ideologischen und sicherheitstaktischen denn aus strafrechtlichen Gründen verfolgt worden. GALINA IVANOVA (Moskau) erinnerte an die Eingliederung der sowjetischen Speziallager in das stalinistische Lagersystem und den hohen Grad an Willkür, der dadurch auf die Verhaftungspraxis gewirkt habe.
In seiner Einführung zur Geschichte der Speziallagerforschung betonte ENRICO HEITZER (Oranienburg), dass die frühen Studien zu den Lagern im Kontext des Kalten Krieges zu lesen seien und zumeist eine scharfe Anklage gegen die DDR und die Sowjetunion mitführten. Dies ging einher mit einer Relativierung der NS-Verbrechen und einer Gleichsetzung der „roten KZs“ mit denen der Nationalsozialisten. Bis in die 1980er-Jahre hinein fand das Thema vor allem in geschichts-revisionistischen Kreisen Gehör. Mit Ende des Kalten Krieges und den ersten Gräberfunden in den 1990er-Jahren rückten die Speziallager in den Fokus einer breiten Öffentlichkeit, wie JULIA LANDAU (Weimar) berichtete. Neben relativierenden Tendenzen stand bei ehemaligen Internierten jetzt vor allem das Bedürfnis nach Rehabilitierung im Vordergrund, welches nicht immer im wissenschaftlich-analytischen Stil eingefordert wurde. Trotz langjähriger Forschung bestehen weiterhin Desiderata. Die Abläufe im Vorfeld der Lagerhaft sind ebenso spärlich erforscht wie Struktur und Zusammensetzung des Lagerpersonals und der Interniertengesellschaft selbst. Letztlich müsse das klare Fazit der Enquete-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit“, die Speziallager hätten nicht der Entnazifizierung gedient, revidiert und differenziert werden.
[Weiterlesen auf der Website von HSozKult]
Zitation:
Tagungsbericht: 25 Jahre Aufarbeitung der Geschichte der sowjetischen Speziallager, 25.06.2015 – 27.06.2015 Weimar, in: H-Soz-Kult, 02.09.2015, <http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-6137>.
Tagungsbericht zu einer von mir maßgeblich mit organisierten Tagung
von Thomas Irmer, Berlin
Anlässlich des 70. Jahrestages von Kriegsende und Befreiung befasste sich die vom in Berlin ansässigen Zentrum für Historische Forschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften und der Gedenkstätte Sachsenhausen ausgerichtete Tagung mit der Arbeit von Gedenkstätten und Museen zur NS-Zeit in beiden Ländern. In fünf Panels diskutierten 18 ReferentInnen über die Rolle von authentischen Orten, die Aufgaben von Gedenkstätten, die Instrumentalisierung oder über die Gedenkstättenpädagogik. Mehr als 100, überwiegend deutsche und polnische TeilnehmerInnen besuchten die Tagung im Ungarischen Kulturzentrum.
Im Eröffnungsvortrag unternahm ADAM KRZEMIŃSKI (Warschau) ausgehend von persönlichen Erfahrungen eine beeindruckende Tour d´Horizon durch sieben Jahrzehnte polnischer und deutscher Erinnerungskultur und Gedenkpolitik. Heute stehen wir Krzemiński zufolge vor einer wesentlichen „Verschiebung der Wahrnehmung des 20. Jahrhunderts“, da die Erlebnisgenerationen abtreten und der Besuch einer KZ-Gedenkstätte bei den nach 1989 Geborenen nicht mehr zu so solch prägenden Erschütterungen wie bei den Generationen davor führe. Die Diskussion über die Folgen des Abschieds von den Zeitzeugen und über den Umgang jüngerer Generationen mit Gedenken und Erinnerung war einer der Gründe für die Durchführung der Tagung, wie GÜNTER MORSCH (Sachsenhausen) in seiner Begrüßung ausführte. Im Zusammenhang mit dem 70. Jahrestag des Endes des zweiten Weltkriegs sei in Politik und Medien in Deutschland auch von einer „Zäsur in der Entwicklung der Erinnerungskultur“ die Rede. Sehr bedenklich seien außerdem auch auf europäischer Ebene geführte Diskussionen über die Erinnerung an die kommunistischen Regimes, wenn sie auf eine alle Diktaturen vermischende, anti-totalitäre Erinnerungskultur hinausliefen. Deutschland und Polen eignen sich in besonderer Weise dafür, Fragen zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Gedenkstätten zu diskutieren, so MORSCH, da sich in den beiden Ländern die meisten NS-Gedenkstätten befinden. In Deutschland sei die Erinnerung an den Nationalsozialismus von einer negativen Erinnerung an das Land der Täter bestimmt, in Polen hingegen durch eine Märtyrologie als dem Land, aus dem die meisten Opfer kamen.
Im Mittelpunkt des ersten, von dem Politikwissenschaftler HARALD SCHMID (Schleswig-Holstein) moderierten Panels standen Fragen zum Umgang mit den authentischen Orten. In diesem Rahmen befasste sich ROBERT TRABA (Berlin) mit Unterschieden in deutschen und polnischen Wahrnehmungen von Erinnerungsorten wie Auschwitz, insbesondere im Hinblick auf polnische nicht-jüdische Häftlinge. Außerdem hob Traba hervor, dass die Geschichte vieler lokaler Orte der „kleinen Vernichtung“ noch nicht erzählt sei. Wie können sie in die große Erzählung über den Krieg und NS-Verbrechen eingebunden werden? GABI DOLFF-BONEKÄMPER (Berlin) zeigte, welchen Beitrag die Methoden der Denkmalpflege für die Konstruktion bzw. Dekonstruktion der Erinnerung liefern können. Es sei besonders wichtig, den Blick auf das Abwesende in den heutigen Gedenkstätten zu richten – ein Thema, das im Verlauf der Tagung mehrfach aufgriffen wurde. Des Weiteren schlug Dolff-Bonekämper vor, anstatt von „Orten der Erinnerung“ von „Orten der Erzählung“ zu sprechen, da die authentischen Orte heute in erster Linie Orte der Vermittlung und Weitergabe seien, wobei die Lernwege und die VermittlerInnen entscheidend seien. HABBO KNOCH (Köln) befasste sich mit den Herausforderungen und der Wichtigkeit digitaler Medien für die Erinnerung am authentischen Ort. Am Beispiel eines Projekts der Gedenkstätte Bergen-Belsen berichtete er von neuen Lernerfahrungen mit digitalen Medien wie einem dreidimensionalen Lagermodell, wobei durch Elemente der „Augmented Reality“ unsichtbare Orte digital sichtbar und historische Quellen mit dem Ort verbunden werden konnten.
Zitation
Tagungsbericht: Gedenkstätten an NS-Verbrechen in Polen und Deutschland. Von Mahnstätten über zeithistorische Museen zu Tourismusorten, 11.06.2015 – 13.06.2015 Oranienburg und Berlin, in: H-Soz-Kult, 07.09.2015,<http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-6146>.
29.06.2015 - Thüringer Allgemeine
Weimar. Historiker haben in Weimar scharfe Kritik am Umgang mit den sowjetischen Speziallagern in den neuen Bundesländern geübt.
„Die Fakten über die Entnazifizierungslager werden von der Politik ignoriert und die Insassen pauschal zu Opfern erklärt“, sagte der Leiter der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen, Günther Morsch, bei
einer Fachtagung im Goethe-Nationalmuseum in Weimar.
In der öffentlichen Auseinandersetzung würden die Lager fälschlicherweise allein als Ins-trumente der Durchsetzung stalinistischer Herrschaft in Ostdeutschland instrumentalisiert und mit den Konzentrationslagern der Nazis gleichgesetzt. „Der Anteil von Systemgegnern der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR war aber nur sehr gering“, sagte Morsch. Der Historiker kritisierte Forderungen nach Namenstafeln für alle Internierten in den Gedenkstätten. „Auf diesen Tafeln würden die Namen vieler NS-Verbrecher und Mörder stehen, die nach 1945 interniert worden waren“, so Morsch.
Weiter hier: http://www.thueringer-allgemeine.de/startseite/detail/-/specific/Historiker-kritisieren-Umgang-mit-Speziallagern-in-Thueringen-1759488165
Vom 11.-13. Juni 2015 fand in der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen und dem Collegium Hungaricum eine Tagung über polnische und deutsche NS-Gedenkstätten statt. Es kooperierten das Zentrum
für Historische Forschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften Berlin und die Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen (Download des Programms).
Neben Katarzyna Woniak war ich maßgeblich an der Konzeption und Organisation der Tagung beteiligt. Zudem moderierte ich die abendliche Filmpräsentation "Vom Wunder des Überlebens".
Henryk Schoenker, Sohn von Leon Schoenker, dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde von Oswiecim (Auschwitz), berichtet in dem Film von seinem Leben im Untergrund, im Versteck, im Ghetto, immer auf der Flucht vor der Deportation. Durch eine Reihe von Zufällen, aber auch durch die Hilfe verschiedener couragierter polnischer Helfer überlebt Schoenker, seine Schwester und beide Eltern den deutschen Besatzungsterror und den Holocaust. Sie konnten sich lange verbergen, kamen aber schließlich ins Konzentrationslager Bergen-Belsen. Sie wurden in Tröbitz von der Roten Armee aus dem "verlorenen Zug" befreit.
Im Anschluss an den Film sprach ich mit der Produzentin Małgorzata Walczak. Ich kritisierte die für meinen Geschmack zu starke Dramatisierung des Stoffes durch zahlreiche mit Laienschauspielern nachgestellte Szenen samt entsprechender musikalischer Untermalung und fragte, ob die Macher des Filmes nicht auf die Geschichte von Schoenker vertraut hätten. Małgorzata Walczak entgegnete, Dokuementationen konventioneller Machart gebe es genug. Sie wollten etwas Neues machen. Dazu gehörten auch die animierten historischen Fotos, darunter eines von Adolf Eichmann, der diabolisch blickend und kopfwackelnd in seinem Büro dargestellt wurde. Außerdem verzichteten sie vollständig auf Historiker sowie eine historische Kontextualisierung. Der Film ist sehr erfolgreich. Sie hofft, entnahm ich dem Gespräch, dass sich amerikanische Regisseure für den Stoff interessieren.
Ein Film von Marek Pawlowski
Weitere Informationen finden sich hier.
Zur Tagung gibt es einen Film.
Heute fand in der gut besuchten Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße in Potsdam die Präsentation des Buches "Sprechende
Wände" (Metropol Verlag) statt. An dem Band, haben unter der Koordination von Gedenkstättenleiterin Ines Reich und ihrer Mitarbeiterin Maria Schultz eine ganze Reihe von Menschen mehrere
Jahre lang gearbeitet. Dazu zählte auch ich, der zusammen mit Bianca Schröder einen Beitrag über die "Eberswalder Gruppe" um Hans Erdler und Dr. Gerhard Ramlow geschrieben
hat.
Ramlow, vor 1945 Autor von militaristischen Publikationen und später im NS-Geheimdienst "Forschungsamt" tätig, wurde ebenso wie Erdler, der im rechten Untergrund der Weimarer Republik und dem rechtsgerichteten Widerstand gegen das
"Dritte Reich" anzutreffen gewesen war, hingerichtet. Erdler war nicht nur Freikorpskämpfer gewesen und hatte am Kapp-Putsch teilgenommen, sondern war 1923 auch im Ruhrkampf mit einem von
ihm gebildeten Sabotagetrupp in Sprengstoffanschläge und Attentate verwickelt gewesen. Später reüssierte er als Spezialist für den operativen Kleinkrieg und bildete vor 1933 Hunderte SA-Führer in
Wehrsportlagern aus.
Die "Eberswalder Gruppe", der nicht nur Männer vom Schlage Erdlers und Ramlows angehörten, sondern auch Personen wie das wesentlich jüngere Lehrerehepaar Hermann und Giesela Hoeber oder der Theologiestudent Axel Schröder zugerechnet wurden, hatte belegbare Verbindungen zum britischen Secret Service und zur "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit". Teile der Gruppe bereiteten sich offenbar gezielt auf den Kriegsfall vor, der vor dem Hintergrund des Koreakrieges in ähnlicher Art und Weise auch im geteilten Deutschland für möglich gehalten wurde. Mit Ramlow und Erdler wurden im Spätsommer 1950 34 weitere Personen verhaftet. Mindestens 35 Personen wurden von sowjetischen Militärtribunalen in mindestens 13 Einzelprozessen verurteilt, 18 davon zum Tode. 17 Todesurteile wurden vollstreckt.
***
Der Band kann sich sehen lassen. Er ist aufwendig gestaltet. Auch die Präsentation war gelungen. Die Musik von Jaspar Libuda war apart. Der Vortrag von Ines war interessant und abgewogen. Über den weiteren Inhalt schreibe ich hier nichts. Das Buch ist käuflich zu erwerben und wird sich hoffentlich auch gut verkaufen.
Klappentext:
Im ehemaligen sowjetischen Untersuchungsgefängnis Leistikowstraße Potsdam haben sich 1500 Inschriften erhalten. Sie stammen vor allem von Deutschen und Sowjetbürgern, die die sowjetische militärische Spionageabwehr nach dem Zweiten Weltkrieg an diesem Ort unter menschenunwürdigen Bedingungen inhaftierte. Nach wie vor ist unbekannt, wie viele Personen der Geheimdienst an diesem Ort inmitten der Geheimdienststadt „Militärstädtchen Nr. 7“ in Potsdam zwischen 1945 und 1991 festhielt. Die Namenseinritzungen im Haftkeller des ehemaligen Gefängnisses sind in vielen Fällen die letzten Lebenszeichen von Frauen, Männern und Jugendlichen, die am Ende der Stalin-Ära von sowjetischen Militärtribunalen zum Tode verurteilt, nach Moskau verschleppt und dort erschossen wurden. Ihre Inhaftierung im Gefängnis Leistikowstraße konnte erstmals belegt und die Hintergründe der Verhaftungen im Kontext des Kalten Krieges ausführlicher dargelegt werden. Die Dokumentation der Inschriften liefert einen Beitrag zur Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels der Besatzungszeit. Ausgehend von den Inschriften und auf Basis umfangreicher Archivrecherchen in Deutschland, Russland, Polen und den USA rekonstruieren die Autoren 49 Schicksale ehemaliger deutscher Inhaftierter und liefern einen eigenen Beitrag zu den russischsprachigen Inschriften.
Ines Reich · Maria Schultz (Hrsg.), Sprechende Wände. Häftlingsinschriften im Gefängnis Leistikowstraße Potsdam, Reihe Forschungsbeiträge und Materialien der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Band 13, ISBN: 978-3-86331-147-6 , 464 Seiten · Hardcover, 29,90 Euro
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Berichterstattung
Neues Deutschland 02.04.2015
Berliner Zeitung 09.04.2015
Berliner Zeitung 10.04.2015
Die Welt 10.04.2015
Solveig Grothe, Gefängnisinschriften enträtselt. "Irmgard Gimperlein, Todesstrafe", Spiegel Online - Eines Tages, 02.07.2015
"2009 initiierte die inzwischen dort eingerichtete Gedenkstätte ein Projekt zur systematischen Erfassung dieser Botschaften. Man entdeckte Namen, Initialen, Worte, Zahlen, Zeichnungen. Rund 1500 Inschriften dokumentierten Restauratoren an den Innen- und Außenwänden des Hauses. Zeichen, die Jahrzehnte später halfen, Angehörige ehemaliger Insassen zu ermittelt, und die Schicksale spurlos Verschwundener aufzuklären. Ihre Lebensgeschichten finden sich zusammengefasst in dem 2015 im Metropol Verlag erschienenen Buch "Sprechende Wände. Häftlingsinschriften im Gefängnis Leistikowstraße Potsdam". Sie geben Aufschluss über die tatsächliche oder vermeintliche Verstrickung von Ostdeutschen in die Informationsbeschaffung alliierter Geheimdienste während der Nachkriegsjahre."
Klappentext
Die »Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit« (KgU) galt in Ost und West lange Zeit als Inkarnation des Antikommunismus und der Feindschaft gegen die DDR. 1948 als Reaktion auf die Entlassungswelle aus den sowjetischen Speziallagern gegründet und 1959 während der zweiten Berlin-Krise aufgelöst, entfaltete die KgU nicht nur humanitäre Aktivitäten, verbreitete Flugblätter oder war nachrichtendienstlich tätig, sondern beförderte – und praktizierte zeitweise auch – Gewalt als Widerstandsmittel gegen die Staatsführung. Enrico Heitzer untersucht die Entstehung, den organisatorischen Aufbau, und die Handlungsfelder dieser privat geführten, aber politisch höchst wirkungsvollen Organisation.
»Das Buch ist eine wissenschaftliche Arbeit, eine Analyse, sachlich und ohne emotionale Ausbrüche, ethische Wertungen. Gerade das macht sie so wertvoll; denn die Lektüre ist aufregend wie ein Krimi.« (Egon Bahr)
Enrico Heitzer: Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU). Widerstand und Spionage im Kalten Krieg 1948—1959 (Zeithistorische Studien, herausgegeben vom Zentrum für Zeithistorische Forschung
Potsdam, Band 53). Köln, Weimar, Wien (Böhlau-Verlag) 2015, 552 Seiten, 34 Schwarz-Weiß-Abbildungen, 64.90 Euro.
Rezensionen und Reaktionen
Das Buch wurde bislang an folgenden Orten besprochen und vorgestellt (in der Reihenfolge des Erscheinens):
Kalter Krieg: CIA finanzierte Sabotage und Anschläge in der DDR Der Spiegel 20.02.2015
Amerikaner bezahlten Anschläge in der DDR Frankfurter Allgemeine Zeitung 20.02.2015
Martin Jander, KgU: Antikommunismus, Schuldabwehr und Terror
"Der Raum der Freien Volksbühne ist am 19. Februar 2015 um 19 Uhr bis auf den letzten Platz besetzt. Etwa 150 Menschen sind gekommen, um der Vorstellung des gerade erschienenen Buches von Enrico Heitzer „Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU): Widerstand und Spionage im Kalten Krieg 1948 – 1959“ und der anschließenden Debatte zu folgen. Unter ihnen viele Historiker, Gedenkstättenmitarbeiter, Verbandsvertreter und Zeitzeugen. Die Stimmung ist vom ersten Moment an gereizt. Eine konfliktfreie Präsentation der Analyse einer der einflussreichsten antikommunistischen Organisationen im Nachkriegsdeutschland erwartet niemand.
Die Erwartungen sollen nicht trügen. Enrico Heitzer hat noch nicht einmal zehn Minuten gesprochen, da sucht Lutz Utecht, [...] den Vortragenden zu unterbrechen. Der Vorwurf, den Heitzer in seiner Präsentation erhebe, die KgU sei eine von vielen Ex-Nazis aufgebaute Spionageorganisation gewesen, die sich humanitärer Aktivitäten nur bedient habe, um ihre Spionage- und Sabotageaktivitäten in der DDR zu tarnen, sei falsch. Es handle sich, wie Utecht erklärt, um die Wiederholung der lügnerischen Propaganda der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS)."
"Enrico Heitzer hat eine faktenreiche Studie zur KgU geschrieben. Allerdings ist das Buch mit 64,90 Euro nicht gerade preisgünstig und der trockene wissenschaftliche Stil macht die Lektüre nicht immer zu einem Vergnügen. Gleichwohl ist Heitzers Arbeit über Subversion und Spionage im Kalten Krieg eine wichtige Ergänzung zu all jenen Publikationen, die in jüngster Zeit über das SED-Regime und die Stasi erschienen sind. Die Untersuchung bietet profunde Einblicke in eine Gruppe, die gegen Unmenschlichkeit zu Felde zog, sich dabei aber selber inhumaner Methoden bediente, das Leben Unschuldiger riskierte und den Tod der eigenen Leute in Kauf nahm."
"Wie es sich für einen ordentlichen Historiker gehört, sind seine Darstellung und Interpretation nüchtern, ist sein Sachurteil abgewogen und das Werturteil zurückhaltend. [...] Die KgU avancierte rasch zum vielleicht wichtigsten deutschen Instrument der westlichen Liberation Policy. Als reine Marionette darf man sich die Vereinigung indessen nicht vorstellen; Führung und Mitarbeiter verfolgten eigene Ziele und sahen sich eher als Bündnispartner Washingtons im "Kampf gegen die Unmenschlichkeit". Unter den Mitarbeitern der KgU fanden sich zwar Personen wie der langjährige Vorsitzende Ernst Tillich, die vom NS-Regime verfolgt worden waren oder in Verbindung mit dem 20. Juli 1944 gestanden hatten. Doch nachweislich dominierten ehemalige Nazis. [...]
Bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit im Westen kooperierte die KgU mit anderen antikommunistischen Organisationen, wie den Landsmannschaften der Vertriebenen, aber auch mit dem 1952 als rechtsradikal verbotenen Bund Deutscher Jugend. [...] Jedenfalls trat die KgU nachdrücklich für die Wiederbewaffnung ein, forderte eine Generalamnestie für NS-Täter und einen "Schlussstrich unter die Vergangenheit" - eine selbst im restaurativen Klima der frühen 1950er Jahre weitgehende Forderung. Der Antitotalitarismus der KgU beinhaltete nicht allein eine prinzipielle Gleichsetzung der DDR mit dem "Dritten Reich", sondern wurde überwiegend so akzentuiert, dass die SED-Diktatur weitaus schlimmer sei. [...]
Zum spannendsten Teil von Heitzers Untersuchung gehört jener über die Einbindung der KgU in die amerikanisch-britischen Stay-behind-Planungen. Diese sahen eine Art Partisanenkrieg hinter den feindlichen Linien gegen die konventionell deutlich überlegene Sowjetarmee vor, sollten im Kriegsfall Teile Westeuropas überrannt worden sein. Diese Formationen rekrutierten sich großteils aus rechtsradikalen Antikommunisten, die auch die Liquidierung von prominenten Sozialdemokraten ins Auge fassten."
"Tiefe Einblicke gewinnt der Leser in das Innenleben der KgU. Die Hintergründe der Ablösung Hildebrandts als KgU-Chef durch Ernst Tillich sowie die Einflussnahme insbesondere der CIA werden aufgehellt und belegt bis hin zu den 1951 seitens der CIA intern formulierten Zweifeln an der NS-Widerstands-Vita Hildebrandts, an der seine Frau bis heute festhält. Minutiös hat Heitzer biographisch recherchiert, um die Soziologie der Mitarbeiter und der nur wenigen Mitarbeiterinnen und vor allem des sich über die gesamte DDR erstreckenden V-Mann-Netzes zu analysieren. Der Anteil von KgU-Männern mit einer Vergangenheit in NSDAP, SS, SA, Reichssicherheitshauptamt, Abwehr, Gestapo oder in Wehrmacht oder Waffen-SS, darunter auffallend viele Fallschirmjäger, war nennenswert. [...] Wissenschaftliche Distanz und Unparteilichkeit ermöglichen es Heitzer, solche
Widersprüche herauszuarbeiten, zu diskutieren, aber letztlich nicht einzuebnen, sondern zu einem differenzierten Bild zusammenzufügen. Das ist wohltuend und unterscheidet seine Arbeit von Partei ergreifenden Publikationen wie denen Finns oder Alexandra Hildebrandts, älteren aus dem Umfeld der Studentenbewegung und erst recht allen aus der DDR."
"Wenn das Bemühen gestört wird, eine unangenehme Vergangenheit schönzureden, erhebt sich meist beträchtliches Gezeter. Der Störenfried wird dann schnell zu einem politischen Provokateur oder gar Geschichtsfälscher erklärt. So geschehen bei der Vorstellung der vorliegenden Studie in Berlin.
Dabei ging es an diesem tumultuösen Abend nur um die "Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit (KgU)", die zwischen 1948 und 1959 auf dem Feld der deutsch-deutschen Auseinandersetzungen operierte und deren Namen heute kaum noch jemand kennt. Da fielen einige ältere Herren derart unsachlich über den Autor des neuen Standardwerks zur KgU her, dass wieder einmal mit Genugtuung festzuhalten war: Gute Zeitgeschichtsforschung tut manchmal weh. [...] Das Buch von Enrico Heitzer markiert das unwiderrufliche Ende der schon seit Längerem infrage gestellten Legende von einer Vereinigung, die sich vornehmlich aus ethisch-humanitären Erwägungen heraus um die von den SED-Diktatoren verfolgten und vertriebenen Menschen gekümmert habe. [...]
Vielen Mitarbeitern, Unterstützern und Sympathisanten mag die geheime Doppelrolle der KgU damals nicht bewusst gewesen sein. Manche halten diesen Befund weiterhin für böswillige Verleumdung. Müsste es aber nicht möglich sein, dass die noch immer über den einstigen Schlachtfeldern tobenden Geister mithilfe dieses vorzüglichen Buches allmählich zur Ruhe kommen?"
"Die Ergebnisse, die Heitzer mit seinem empirisch ausgesprochen gut fundierten Buch präsentiert, machen deutlich, dass auch die KgU mit Schwarzweißmalerei nicht zu fassen ist, dass es Widersprüchlichkeiten und Uneindeutigkeiten, ein Sowohl-als-auch gab. [...] Außerdem baute die
KgU im Auftrag des CIA ein sogenanntes "Stay-Behind-Netz" auf, das im Falle eines Krieges den Guerrilla-Kampf in Ostdeutschland aufnehmen sollte.· Dabei - so zeichnet Heitzer detailliert nach -
nahm man wenig Rücksicht auf die eigenen Leute, verheizte zeitweise sogar Minderjährige. Hunderte von wirklichen oder vermeintlichen KgU-Leuten gerieten in die Fänge der überlegenen und massiv agierenden Staatssicherheitorgane der DDR und der Sowjetunion. [...] Die Debatte über die richtige Bewertung der Kampfgruppe wird also weitergehen, allerdings wird sie niemand mehr ernsthaft führen können, ohne die Studie von Heitzer gründlich und unvoreingenommen gelesen zu haben."
"Jagdfalken, nicht Friedenstauben: So verstanden sich, ein Zitat aus den Akten der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU) aufgreifend, deren hauptamtliche Mitarbeiter und auch ein guter
Teil der verdeckt in Sowjetischer Besatzungszone (SBZ) und DDR operierenden Verbindungsleute (S. 252). Enrico Heitzer wählt in seiner bei Manfred Hettling (Halle-Wittenberg) und Michael Lemke
(Berlin / Potsdam) entstandenen Dissertation ein anderes Bild: Während der deutsch-deutsche Systemkonflikt im Kalten Krieg häufig in ostentativer Herausstellung der jeweils eigenen politischen
und gesellschaftlichen Vorzüge eine Art „Schaufensterfunktion“ besaß, fanden viele der Aktivitäten der KgU in einem – Diktion Heitzer – verborgenen „Hinterzimmer“ statt. Nicht Selbstdarstellung
war deren Ziel, sondern Tat, Handlung, Wirkung. [...]
Antikommunismus erklärt auch die teilweise ausgeprägte Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt innerhalb der KgU. Sie korrespondierte mit dem Glauben an die Möglichkeit eines bewaffneten Umsturzes in Osteuropa, den die verantwortliche amerikanische Abteilung Operation Policy Coordination unter anderem auch mit dem Versuch, im Baltikum und auf dem Balkan Partisanengruppen zu entfalten, betrieb. Die von Heitzer zum Teil als „terroristisch“ eingestuften Aktionen [...] passen sich konzeptionell in die Liberation Policy ein – insofern waren sie eine Zeitlang als angemessen erachtete radikale Mittel zu politischem Zweck. [...]
Heitzer hat in einer quellenmäßig gut abgesicherten, streckenweise sehr detaillierten Analyse das exemplarische Porträt einer herausragenden antikommunistischen Organisation im „Hinterzimmer“ unmittelbarer Nachkriegspolitik gezeichnet."
"Heitzer hat mit seiner Arbeit eine Kärrnerarbeit sondergleichen geleistet, für die man nur dankbar sein
kann. Wenn man in den Alltag des frühen Kalten Kriegs hineingehen und Aktionen wie Atmosphäre
besser verstehen will, dann wird man hier fündig und reich bedient."
"Zu der großen Stärke des Werkes gehört ein minutiöses Aktenstudium, wobei Heitzer das besondere Verdienst zukommt, CIA-, MfS- und KgU-Unterlagen miteinander verglichen und auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft zu haben. Obwohl nachweislich zahlreiche Materialien systematisch vernichtet wurden, gelingt eine insgesamt überzeugende Rekonstruktion der Vorgänge. Deshalb besteht eine wichtige Erkenntnis der Studie darin, dass zahlreiche bundesdeutsche und US-Behörden im Kampf gegen "den Kommunismus" auf eine oft bedenkenlos vorgehende "private" Geheimdienstorganisation zurückgriffen. So wird der Blick dafür geschärft, dass auch die westliche Seite im Kalten Krieg über klandestine "Hinterzimmer" verfügte und in dunkle Machenschaften verstrickt war."
"Bei der zu Jahresbeginn 2015 in Berlin stattfindenden Vorstellung der hier zu rezensierenden Dissertation kam es zu Störungen aus dem Publikum. Zeitweise wurden sogar Drohungen gegen den Autor ausgestoßen. Heftige Wortgefechte entzündeten sich zwischen den Störern, die dem Autor „Geschichtsfälschung“ vorwarfen, und denjenigen, die die als spektakulär zu bezeichnenden Erkenntnisse der Studie hören wollten. Die anwesenden wissenschaftlichen Betreuer der Arbeit und weitere einschlägige Repräsentanten der zeithistorischen Forschung mischten sich ein und forderten gegen die wütenden, persönlichen Angriffe eine demokratische Diskussionskultur.
Nur selten erlebt man, dass eine Dissertation [...] solche Reaktionen und sogar Debatten über demokratische Kultur provoziert. Diese Rolle wünscht man der Geschichtswissenschaft, die besonders dann mit Beifall und wütender Abwehr zugleich zu rechnen hat, wenn sie dasjenige Geschäft betreibt, das der Wissenschaft als ureigenste Aufgabe angetragen wird: Mythenzerstörung.
Das ist es, was Enrico Heitzers Buch leistet; und nicht nur, weil es sich zweifelsohne als Standardwerk über die „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ (KgU), „einer der größten [antikommunistischen – R. H.] Kampforganisationen mit DDR-Bezug“ [...], etablieren wird.
[...]
Trotz kleinerer Schwächen im Begriffsapparat stellt die vorliegende Untersuchung einen bedeutenden Beitrag zur Antikommunismusforschung dar. Denn sie justiert nicht nur bisherige KgU-Bilder neu, sondern liefert darüber hinaus Argumente für eine Neuausrichtung der DDR-Oppositionsforschung, der mehr Differenzierung und weniger Eifer gut täte. Dualistische Heroenbilder, in denen jede DDR-Opposition per se als demokratisch gilt, lassen sich angesichts solcher Forschungsergebnisse nicht länger aufrechterhalten.
Dagegen aber wehren sich die wütenden Heitzer-Kritiker, die bei der Buchvorstellung ein binäres Denkschema offenbarten, wie es einst auch der KgU zu eigen war, die sogar Sozialdemokraten zu Feinden erklärte. Wer eine von „braunen Personalien“ [...] dominierte Organisation kritisiert, gilt ihnen bereits als DDR-Apologet. Ein solches manichäisches Weltbild lässt eine gerechte Beurteilung der Studie nicht zu, die doch keinen Zweifel am diktatorischen Charakter der DDR und des MfS mit seinen „terroristischen Methoden und Verfolgungspraktiken“ [...] lässt. Indem das Buch zum Neudenken jenseits der Totalitarismustheorie beiträgt, hilft es, die KgU-Logik des „Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns“ aufzubrechen."
"In seinem eigenen Urteil gibt sich der Autor zurückhaltend: »Gleichwohl war die KgU wichtig im Kampf gegen die Diktatur in der DDR.« Mit und durch die Menschen, die sich bereit erklärten, als V-Leute in der DDR tätig zu sein, habe »die KgU bis in die Mitte der 50er Jahre zu den härtesten Gegnern des SED-Regimes und der Sowjets in Ostdeutschland« gehört.
So ist der Vermerk auf Seite 4 zu erklären: »Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.« Aber die Fakten, die Heitzer über die KgU ermittelt hat, sind stärker als dieser Druck, stärker als seine Sozialisation (er war in seiner Adolszenz von 1996 bis 1998 Mitglied der Bundeswehr)."
"In his doctoral dissertation, German historian Enrico Heitzer has produced the definitive study of the KgU, including careful documentation of the organization’s numerous links to US intelligence agencies.
Heitzer’s book is comprehensive, well-organized, and thoroughly researched. [...]
The relationship between the KgU and US intelligence is best described as a partnership between two independent parties with identical goals—the weakening of the East German regime through espionage and covert action. In this bargain, the CIA contributed funds and guidance, and occasionally intervened on behalf of the KgU with the West German government and judiciary. In exchange, the KgU provided information and manpower, and absorbed massive MfS counter-strikes: numerous KgU agents were kidnapped, arrested, and received long prison sentences, and at least 126 were executed. The intensity
of the MfS’s response to the KgU’s operations suggests that the group had at least some impact in East Germany. [...]
Heitzer delivers a nuanced and detailed study of the KgU, however, his own assessment of the group grew more negative in the course of his research. [....] Readers may make up their own minds, but whatever one’s take on the KgU, no one will be able to discuss this controversial organization and its place in early Cold War Germany without taking into account Heitzer’s excellent book."
"Wer der von offizieller Stelle der DDR verwendeten Sichtweise immer noch folgt, findet in dem Buch von Enrico Heitzer seine Bestätigung: Die KgU war eine Spionage- und Terrororganisation im Kalten Krieg. Betont wird immer wieder, dass die KgU Antikommunismus zum Prinzip erhoben hatte. Doch das ist weder neu noch ehrenrührig und bedarf auch keiner 550 Seiten. Wenn eine solche Einschätzung jedoch weitgehend auf Stasi-Vernehmungsprotokollen und Gerichtsakten der DDR beruht, wird sie mehr als fragwürdig, sie ist unglaubwürdig. [...]
Nicht nur Terrorakte zu verüben, sondern im Kriegsfall hinter der Front eine Guerillatruppe zu bilden, soll deren Aufgabe gewesen sein. Das ist Hysterie! Der Autor missachtet, dass es durchweg Oppositionelle waren, meist Jugendliche, die ihre widersprüchliche politische Meinung in der DDR nicht mehr artikulieren konnten und somit in den Widerstand getrieben wurden. Das waren allerdings nie Brandstifter und Brückensprenger, sondern Vertreter eines geistig-intellektuellen Widerstands. Die Zahl der hier erbrachten Opfer ist groß, doch bei Heitzer kaum erwähnt."
„Heitzers Fazit ist dann auch so peinlich wie kurios: Die KgU habe ‚die Grenze zu terroristischem Handeln überschritten, weil sie erkennbar zivile Todesopfer in Kauf nahm.‘ […] Peinlich ist das, weil Widerstand gegen Diktaturen nun einmal fast immer auch von legitimer Gegengewalt gezeichnet ist. Die Debatten um den Hitler-Attentäter Georg Elser haben das vor wenigen Jahren noch einmal vor Augen geführt. […]
Der SED-treue Historiker Heinz Heitzer jedenfalls hätte an diesen Ausführungen seine helle Freude gehabt, denn in dessen zahlreichen Propagandaschriften konnte man dies in der SED-Interpretationstönung mutatis mutandis vor 1989 ebenfalls nachlesen. […]
Für einen Historiker jedoch nicht hinnehmbar ist der Umstand, daß Heitzer zuvor nicht darauf eingeht, gegen wen sich die Militanz gegen wen sich die KgU warum eigentlich so vehement richtete. Nehmen wir einmal an, dieses Buch liest jemand, der von den historischen Kontexten noch nie etwas gehört hat, diese Person müßte denken, die KgU und ihre westlichen Finanziers planten Terror und den Untergang eines gebeutelten, friedliebenden Staates, der sich zwar schwer tat, aber dennoch alles für seine Bürger unternahm, um denen ein sorgenfreies Leben künftig zu garantieren.“
"Die Institution verfügte, wie es der Autor nennt, über ein Schaufenster und mehrere Hinterzimmer, war dadurch sehr widersprüchlich und zog durch ihr halboffenes Agieren die gesamte Verfolgungsenergie des Ministeriums für Staatssicherheit auf sich. […] Einerseits sammelte die Institution Informationen über verschwundene Personen aus der SBZ/DDR und organisierte dort Propagandaaktionen […]. Andererseits sammelte sie nachrichtendienstliches Material, das sie an amerikanische und im Entstehen begriffene bundesrepublikanische Geheimdienste weiterleitete. Vor allem unter dem neuen Leiter Paul Tillich und durch die Beeinflussung der CIA, die die Organisation weitgehend finanzierte, versuchte die KgU durch „administrative Maßnahmen“ die Wirtschaft der DDR zu stören, […] aber sie förderte auch Aktionen, die zumindest den Bereich des Terrors berührten […]. Die Kampfgruppe scheiterte wohl auch an den Zeitumständen, da, als große Skandale mit ihr in Verbindung gebracht wurden, ihr wichtigster Gönner, die CIA, sie in einer Zeit nicht mehr schützen wollte, in der ein radikaler Antikommunismus nicht mehr opportun erschien und daher die KgU aufgrund ihrer Fehler und ihres schlechten Images in der Presse nicht mehr tragbar erschien. […]
"Der Autor bietet eine lesenswerte Darstellung über die Geschichte der Organisation, ihr Personal und ihre Aktivitäten, wobei aber seine Abkürzungswut […] die Lesbarkeit erschwert. Problematisch ist in einigen Fällen die Bewertung der Quellen. […] So könnte das Bild der Organisation aus heutiger Sicht auch eine stärker auf terroristische Aktivitäten verlagertes Ansehen erhalten haben."
Nun aber liegt mit der umfänglichen quellengesättigten Studie von Enrico Heitzer, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Gedenkstätte Sachsenhausen, eine historische Untersuchung über die KgU vor, die mit der verklärenden Legende um die KgU endgültig aufräumt. […] Der Autor kann in den drei Teilen der Arbeit, die der „Organisation“, den „Personen“ und schließlich den „Aktionen“ gewidmet sind, diesen Befund auch in einen größeren Zusammenhang stellen, der es ihm erlaubt, in seinem Schlussteil über die „Gegen- und Rückschläge“ das Ende und die „Abwicklung“ der Organisation plausibel zu erklären. Dabei lässt der Autor keinen Zweifel daran, dass Opposition und Widerstand gegen die DDR-Diktatur gerechtfertigt war und Unterstützung verdiente. Aber der Autor macht auch deutlich, dass es nicht gleichgültig ist, mit welchem Personal und mit welcher Zielsetzung diese Unterstützung organisiert wird. Unter dem „antikommunistischem Dach“ der KgU verbarg sich vieles, was den Kampf gegen eine Diktatur zunehmend diskreditierte. Die „Vielschichtigkeit“ unter diesem „Dach“ ins Licht gerückt zu haben, ist das Verdienst dieser Arbeit."
Für HSozKult Michael Rupp, London School of Economics
In der kleinen Synagoge, Erfurt tagten vom 4. bis 6. September 2014 Historiker der Spezialdisziplin Geheimdienstgeschichte, mit dem Ziel, die Funktion und Wirkungsweise von Netzwerken, Seilschaften und Patronage in solchen Organisationen zu eruieren und sich über mögliche Methoden des Zugangs zu verständigen.
Begrüßt wurden die Gäste von den Organisatoren Gerhard Sälter und Eva Jobs. In seinen Eingangsworten ging Sälter auf die Entstehungsbedingungen moderner Geheimdienste im 20. Jahrhundert ein. Deren wesentliche Merkmale seien die Verstetigung und Institutionalisierung von Tätigkeiten, die im Grunde nicht neu seien. Für den Entstehungsprozess dieser Dienste waren eine Technisierung des Krieges und moderner Kommunikationsmittel relevant, welche einen permanenten Informationsfluss verlangten. Sälter gab jedoch zu bedenken, dass dies weder ihre organisatorische Unabhängigkeit vom Militär noch ihr großes Wachstum in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hinreichend erkläre. Es habe dagegen den Anschein, als hätten die Staaten sich angesichts eines Strukturwandels der Öffentlichkeit und einer Tendenz zur Demokratisierung mit den Geheimdiensten „abgeschlossene Räume“ für einen Teil ihres Regierungshandelns geschaffen, der durch Diskretion und Geheimhaltung vor dem Einfluss demokratischer Gesellschaften geschützt seien. Eva Jobs legte den Schwerpunkt ihrer Einführung auf die Wechselwirkung von Diensten und Öffentlichkeit. Ein Vakuum von Nicht-Wissen und wuchernde Spekulationen seien dabei Teile des gleichen Phänomens, dessen Wurzel in den unklaren Konturen der Aufgabenfelder von Diensten zu finden ist, in der Praxis und mehr noch im öffentlichen Bewusstsein. Aufgrund der sich stetig verbessernden Quellenlage sei nicht mehr die Frage ob, sondern wie die historische Forschung sich dem Aufgabenfeld zu nähern habe.
Einen spannenden Einstieg in die Vortragsreihe bot FLORIAN ALTENHÖNER (Berlin), der unter dem Titel „Die Männer hinter Canaris“ einen Blick auf das wenig erforschte Offizierskorps der Abwehr warf. Wenngleich quantitative Angaben (zum Beispiel die Gesamtzahl der Abwehrangehörigen) aufgrund der Quellenlage schwierig seien, zeichne sich ein Sozialprofil der Abwehroffiziere in Umrissen ab. Überraschenderweise stellte die Abwehrtätigkeit für Berufsoffiziere kein soziales Hindernis dar, bis in den Generalsrang aufzusteigen. Ihnen waren sogenannte Ergänzungsoffiziere an die Seite gestellt, die im Regelfall Veteranen des Ersten Weltkrieges waren. Altenhöner betonte den mobilen, truppengebundenen Charakter der Abwehr. Zudem verdichten sich die Hinweise, dass eine Verschmelzung der Abwehr mit dem Amt VI des Reichssicherheitshauptamts (SD Ausland) 1944 geplant war, aber nicht zum Abschluss gebracht werden konnte. Wesentliche Netzwerkstrukturen sah Altenhöner in, neben, gegen und nach der Abwehr: Zu nennen seien vor allem die Protektion oder die Behinderung durch Canaris, Fälle von systematischer Korruption, sowie das Wirken der Veteranenverbände nach 1945.
Dass biographische Forschungen eine gute Möglichkeit der Netzwerkanalyse darstellen, demonstrierte PETER M. QUADFLIEG (Aachen) anhand seiner Forschungen zu Graf von Schwerin. Dieser war 1950 als Sicherheitsberater Konrad Adenauers am Aufbau des „F.W.Heinz-Dienstes“, der Keimzelle des späteren Militärischen Abschirmdienstes (MAD), beteiligt. Quadflieg zeigte, wie im Konkurrenzverhältnis zur „Organisation Gehlen“ entlang der Personalachse Oster-Heinz-Pabst-Schwerin mehrere politische und militärische Sozialisierungserfahrungen ineinander griffen und vertrauensbildend wirkten: Freikorps-Verbindungen, Kontakte zum 20. Juli sowie Aktivitäten in Veteranenverbänden der Abwehr nach 1945. Quadflieg leitete daraus zentrale Thesen zum Umgang mit historischer Netzwerkanalyse in Bezug auf Geheimdienste ab: zunächst der besondere Umstand, dass, informationsökonomisch betrachtet, ‚hidden information‘ und ‚hidden action‘ systemimmanent sind. Veränderungen im Gefüge und personelle Beziehungen sind schwer beobachtbar. Eine Täuschungsabsicht muss bei der Quellenuntersuchung immer mitgedacht werden, weshalb Vorgänge quellenmäßig stets von mehreren Seiten betrachtet werden müssen. Quadflieg betonte in diesem Zusammenhang die zentrale persönliche Stellung sogenannter ‚Gatekeepers‘.
ENRICO HEITZER (Berlin/Oranienburg) präsentierte seine Forschungen zur „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ (KgU), einer antikommunistischen Organisation, die wesentlich aus CIA-Geldern finanziert wurde und teilweise Geheimdienstcharakter aufwies. Die KgU sah sich selbst als Avant-Garde des Antikommunismus im Kampf gegen die DDR. Heitzer definierte sie treffend als „Gemischtwarenladen“, die Grenze zum Terrorismus wurde gelegentlich überschritten. Als nachrichtendienstartiges Netzwerk ist die KgU vor allem zu begreifen, weil Informationsbeschaffung und verdeckte Tätigkeit ineinander griffen. Vor allem der Suchdienst der KgU diente hierbei als Deckmantel, um die systematische Beschaffung von Informationen aus der DDR durch ein Netz von Informanten hinter der Suche nach Informationen über den Verbleib inhaftierter Personen in der SBZ/DDR zu verstecken. Im Mischcharakter der KgU sah Heitzer einen latenten Widerspruch von Ethik und Aktion, der letztlich zum Scheitern der Gruppe beitrug.
Zitation
Tagungsbericht: Geheimdienste: Netzwerke, Seilschaften und Patronage in nachrichtendienstlichen Institutionen, 04.09.2014 – 06.09.2014 Erfurt, in: H-Soz-Kult, 28.01.2015,<http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-5800>.
Imke Hansen und Katarzyna Nowak veranstalteten mit mir zusammen den 16. Workshop zur Geschichte der Konzentrationslager, der Oswiecim stattfand. Nun ist der Sammelband erschienen, den wir in der "Topographie des Terrors" neben den beiden Folgebänden aus der Reihe, die beim verdienstvollen Metropol-Verlag erschienen, präsentierten.
Klappentext
Der Band präsentiert die Ergebnisse des 16. Workshops zur Geschichte der Konzentrationslager. Die Beiträge untersuchen nationalsozialistische Lager samt ihrer Nachgeschichte, ihrer Wirkung auf Biografien und gesellschaftliche Diskurse. Sie nehmen Lebensläufe von Überlebenden, von Orten und Geschichtsbildern aus einer wahrnehmungs- und erfahrungsgeschichtlichen Perspektive in den Blick. Die Konfrontation von Ereignis und Gedächtnis, von Erfahrungen und Erinnerungen gewährt neue Einsichten in ein wissenschaftlich, gesellschaftlich und politisch bedeutendes Forschungsfeld
Eine Tagung in Zusammenarbeit der Vertretung der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in der Russischen Föderation, der AG Zivilgesellschaft des Petersburger Dialogs, des Russischen Staatsarchives für sozial-politische Geschichte (RGASPI) und dem Museum "Perm-36"
01.12.2014–07.12.2014, Perm
Ich war einige Tage nicht in Deutschland, sondern zu einer sehr interessanten Tagung in Rußland.
Zentrale Fragen waren demzufolge:
Es war sehr spannend, auch wenn die Temperaturen in Perm im Ural bis zu -35 Grad betrugen. Wir besuchten u.a. die Gedenkstätte “Perm 36”, wo es aktuell einen heftigen Streit um das Gedenken an
die Verbrechen der Stalin-Zeit gibt. An der Auseinandersetzung sind nicht nur Graswurzelinitiativen und staatliche Akteure beteiligt, sondern auch Neo-Stalinisten und der Veteranenverband der
GUlag- und Lagerwärter, die ihre “Lebensleistung” durch das Erinnern an den GUlag nicht herabgewürdigt sehen wollen. Die Gemengelage ist unübersichtlich. Mir wurde beispielsweise nicht so richtig
klar, ob der Trachtenverein “Wesen der Zeit”, einer dieser Stalinistenvereine, eher eine Krawall- und Folkloregruppe ist, die lediglich deshalb Bedeutung erlangt, weil es “Rezeptoren” in Politik
und Verwaltung gibt oder ob diese Typen tatsächlich nennenswerten Rückhalt in der Bevölkerung und Politik genießen. In einem Referat über den Konflikt waren Fotos von “Mahnwachen” und Demos zu
sehen. Da standen dann ein halbes Dutzend alter Leute mit Transparenten herum. Wir Tagungsteilnehmer sprachen mit etlichen Beteiligten und bewegten uns mitten durch die Konfliktlinien. Dabei habe
ich gelernt, dass die deutschen Medienberichte bislang mitunter ziemlich verkürzt ausfielen und es zum Teil auch noch um andere Dinge geht.
Auch interessant waren die Diskussionen mit russischen Kolleginnen und Kollegen zur Ukraine-Krise, zum Bild des "Westens" von Rußland und vice versa. Ich habe viel gelernt, neue Kontakte geknüpft und auch zahlreiche Anregungen mitgenommen.
Rezension von Anne Lepper auf Lernen-aus-der-Geschichte.de
[...] EIN NEUER HISTORIKERSTREIT?
Die Auseinandersetzungen um die Gedenkstätte Leistikowstraße nimmt Andrew H. Beattie zum Anlass, um die verschiedenen Standpunkte, die sich innerhalb der deutschen Geschichts- und Erinnerungspolitik während und in Anschluss an den Historikerstreit von 1986 herausgebildet haben, zu beleuchten. Entgegen der Auffassung verschiedener Historiker/innen registriert Beattie überdauernde Totalitarismus-Theorien und Gleichsetzungstendenzen in der deutschen Aufarbeitungspolitik. Angesichts dieser beobachteten Entwicklungen, weist er auf die unterschiedliche Wahrnehmung verschiedener renommierter Historiker/innen bezüglich der differenzierten Betrachtungsweise und der erinnerungspolitischen Einordnung beider Vergangenheiten in der Gesellschaft hin. Jedoch trotz dieser divergierenden Auffassungen sei es zu keinem „neuen Historikerstreit“ gekommen, konstatiert Beattie und beklagt in dem Zusammenhang fehlende Forschungsarbeiten zu Fragen der Kontinuität und des Wandels vom Historikerstreit bis in die Gegenwart. In seinem Text zeichnet er den Weg vom Historikerstreit 1986 über die Jahre nach der Wiedervereinigung bis zum Streit um die Gedenkstätte Leistikowstraße nach. Der Fokus liegt hierbei in erster Linie auf der Frage nach der Vergleichbarkeit von Kommunismus und Nationalsozialismus und der Verhinderung der Gleichsetzung beider Systeme. Dabei wird der Konflikt herausgestellt, der sich aus der Kritik konservativer Kräfte an der Ablehnung einer „äquivalenten“ Behandlung – vornehmlich durch die Linke – ergibt.
DIE GLEICHSETZUNG TOTALITÄRER SYSTEME
Juliane Wetzel erläutert in ihrem Beitrag die Problematik des 23. August als europäischen Gedenktag an die Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus. Der umstrittene Gedenktag, der durch seine Durchführung Nivellierungstendenzen innerhalb der Gesellschaft sichtbar macht, wird mittlerweile in verschiedenen europäischen Ländern, darunter Schweden, Estland, Lettland, Litauen, Kanada, Bulgarien, Kroatien, Polen, Ungarn und Slowenien begangen. Wetzel macht in ihrem Text auf die Gefahr der Trivialisierung des Holocaust durch Gleichsetzung mit dem Stalinismus aufmerksam.
Als Beispiele einer Geschichtsauffassung, die statt auf Differenzierung zwischen den totalitären Systemen auf eine Instrumentalisierung und Mystifizierung des kulturellen Gedächtnisses abzielt, werden in dem Band zwei Orte vorgestellt, deren Konzepte in erster Linie patriotische Interessen bedienen: Brigitte Mihok stellt die Gedenkstätte „Haus des Terrors“ in Budapest vor, die eine Gleichsetzung des faschistischen und des kommunistischen Regimes legitimiert, und Ewa Czerwiakowski befasst sich mit dem Museum des Warschauer Aufstands, in dem die historischen Fakten über den Kampf der Warschauer Zivilbevölkerung gegen die Deutschen im Jahre 1944 teilweise durch einen unsachlichen Heldenkult überlagert wird.
UNTERSCHIEDLICHE PERSPEKTIVEN VON WISSENSCHAFTLER/INNEN UND ZEITZEUG/INNEN
Der Streit, der aufgrund konkurrierender Interessen wissenschaftlicher Vertreter/innen und Zeitzeug/innen an vielen Gedenkstätten und Orten mit „doppelter Vergangenheit“ ausgetragen wird, wird in einem Beitrag von Carola S. Rudnick in Bezug auf die sächsischen Gedenkstätten und in einem Streitgespräch zwischen Winfried Meyer und Roland Brauckmann in Bezug auf die Gedenkstätte Leistikowstraße, thematisiert.
In zwei weiteren Beiträgen kommen ehemalige Häftlinge des sowjetischen Untersuchungsgefängnisses zu Wort. Friedrich Klausch und Waldemar Hoeffding berichten über ihre Erfahrungen während der Haftzeit und setzen sich aus der Perspektive der „Zeitzeugen“ mit der Entwicklung der Gedenkstätte auseinander.
Drei Beiträge geben Einblick in die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der sowjetischen Besatzungsjustiz und ihren Folgen. Andreas Hilger gibt in „Der Gulag in Deutschland“ einen Überblick über sowjetische Haftstätten in Deutschland nach 1945. Martin Jander stellt die „Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft“ vor und zeichnet deren Motive und Aktivitäten nach und Enrico Heitzer setzt sich mit der „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ auseinander. Beide Autoren bewegen sich in ihren Texten im Spannungsfeld zwischen der Durchsetzung berechtigter Opferinteressen und den politischen Kampagnen militanter antikommunistischer Aktivist/innen.
Carola Rudnick thematisiert in einem zweiten Beitrag die Musealisierung der DDR und Barbara Distel setzt sich mit der Frage auseinander, ob mit dem fortschreitenden Verlust von
KZ-Überlebenden als Zeitzeugen die mediale Auseinandersetzung mit dem Thema Nationalsozialismus mehr und mehr durch die emotionalen Bedürfnisse und Forderungen der Konsumenten bestimmt wird,
anstatt historische Tatsachen im Blick zu haben. [...]
Rezension von Uwe Neumärker im Gedenkstättenrundbrief Nr. 171 (09/2013) S. 54-56
[...] der »Kampf um Deutungshoheit. Politik, Opferinteressen und historische Forschung« am Beispiel der »Auseinandersetzungen um die Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße Potsdam« geht um die politische Instrumentalisierung des Gedenkens und den Versuch, die fundamentalen Unterschiede zwischen Nationalsozialismus und Sowjetkommunismus einzuebnen, wie der Herausgeber, Wolfgang Benz, in seiner klugen, wegweisenden Einleitung trefflich analysiert. Die Besonderheit der deutschen Situation, mit dem Erbe beider Regimes umgehen zu müssen, liegt auf der Hand. Die Leistikowstraße 1 steht dabei für den Terror in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Der Streit um die Gedenkstätte kann als radikalisierter Ausdruck der oft unterschiedlichen Interessen von Opfern und Politikern auf der einen sowie der historisch-wissenschaftlichen Aufarbeitung auf der anderen Seite gelten. [...] Enrico Heitzer wiederum gelingt in seinem Artikel zur »Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit in West-Berlin und in der Bundesrepublik« die sachliche Darstellung einer vergleichbaren Opferorganisation in den 1950er Jahren. [...]
Juliane Wetzel widmet sich fast ganz am Schluss des Sammelbandes dem 23. August als europäischem Gedenktag an die Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus unter der Fragestellung »Trivialisierung des Holocaust?« Wetzel beklagt Nivellierungstendenzen »im öffentlichen Diskurs vieler Länder« und befürchtet, dass das Holocaust-Gedenken in den Hintergrund gedrängt, zumindest mit dem Gedenken an die Millionen Opfer des realen Sozialismus gleichgesetzt werde. Man hakt das Thema »Verbrechen im 20. Jahrhundert« praktisch an einem Gedenktag ab. Das wäre fatal, ist allerdings eine deutsche, eine westliche Sicht auf die Dinge: In den »neuen« europäischen Staaten, die diese Idee durchgesetzt haben, herrschen andere Denkweisen und Deutungsmuster vor, die mit der westlichen Erinnerungskultur oft nicht kompatibel sind; eine gemeinsame Geschichtsauffassung gibt es auch hier nicht. Zumindest die drei baltischen Länder eint jedoch, dass die Ermordung der Juden (auch der Sinti) in der öffentlichen nichtjüdischen Erinnerung praktisch nicht vorkommt, nicht Teil einer Staatsraison wie in Deutschland ist. Das eigene Leiden unter dem sowjetischen Terror 1940/41 und von 1944 bis 1990/91 dagegen währte viel länger, es ist in jeder Familienerzählung dominant. Ein allgemeiner Gedenktag lässt zudem die eigene Mittäterschaft am Massenmord geflissentlich übergehen.
Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen ist zunächst einmal eine nationale Aufgabe. Staaten und Politiker täten gut daran, daraus keinen europäischen »Einheitsbrei« zu machen – Aufrechnen und Gleichsetzen gewissermaßen zu sanktionieren. Die Debatten um den richtigen Umgang und die Bewertung des 20. Jahrhunderts werden und müssen allerdings weitergehen. Der Sammelband von Wolfgang Benz bietet Einblicke in die großen Auseinandersetzungen über die Darstellung des Kampfes um Deutungshoheit in der Potsdamer Leistikowstraße mithin wie darüber hinaus in grundsätzliche Fragen des Gedenkens und Aufklärens.
Deutsche Wut und Rechthaberei
In der Zentrale für politische Bildung wurde über die Gedenkstätte Leistikowstraße gestritten
Ist es vertretbar, in der Gedenkstätte Leistikowstraße in Potsdam Vergehen der sowjetischen Besatzungsmacht an Deutschen zu dokumentieren, ohne einen einzigen Hinweis auf die zuvor von Nazideutschland in der Sowjetunion verübten Verbrechen? Wer am Mittwochabend auf diese wichtige Frage in der Potsdamer Landeszentrale für politische Bildung eine Antwort erwartete, der wurde einmal mehr enttäuscht.
Dabei klang der Titel des dort besprochenen Buches verheißungsvoll: »Ein Kampf um Deutungshoheit. Politik, Opferinteressen und historische Forschung. Die Auseinandersetzung um die Gedenkstätte Leistikowstraße«, herausgegeben von Wolfgang Benz.
Die Debatte konnte und musste wegen Überfüllung in einen Vorraum übertragen werden. Eingangs bat Hausherrin Martina Weyrauch, gewitzt durch die dramatische Vorgeschichte, »die Messer in der
Tasche zu lassen«. Denn der Aufbau der Gedenkstätte Leistikowstraße, in dem der sowjetische Militärgeheimdienst Smersch bis Mitte der 1950er Jahre ein Untersuchungsgefängnis betrieb, war von
einem erbitterten Streit begleitet. Weyrauchs Hoffnung war vergeblich. Die Auseinandersetzung wurde am Mittwochabend unsachlich fortgesetzt.
Professor Benz stellte die Frage, ob Historiker und Zeitzeugen nicht »natürliche Feinde« seien. Denn während Zeitzeugen, im aktuellen Fall die Opfer der sowjetischen Militärjustiz, allein ihr
Leiden und die in ihren Augen ungerechte Behandlung sehen, ist der Historiker verpflichtet, einzuordnen, zu differenzieren, Bedingungen zu untersuchen, Zusammenhänge darzustellen. [...]
Klappentext
Dezember 1949, Stalins 70. Geburtstag. In Altenburg versuchen Angehörige einer Widerstandsgruppe, mit einem Radiosender die Übertragung der Rede Wilhelm Piecks zu Ehren des sowjetischen Diktators
zu stören und selbst auf Sendung zu gehen. Der Sprecher prangert das DDR-Regime an, verlangt die Entlassung von politischen Häftlingen und freie Wahlen. Drei Monate später wird die Gruppe vom
Ministerium für Staatssicherheit der DDR und von der sowjetischen Geheimpolizei zerschlagen. Sowjetische Militärgerichte führen den Prozess gegen ein Dutzend Angeklagte. Vier junge Männer werden
zum Tod verurteilt und hingerichtet.
Das Buch wurde besprochen:
Eckhard Jesse: Rezension zu: Heitzer, Enrico: "Einige greifen der Geschichte in die Speichen". Jugendlicher Widerstand in Altenburg/Thüringen 1948 bis 1950. Berlin 2007, in: H-Soz-Kult, 01.10.2009.
"Das Verdienst des jungen Historikers Enrico Heitzer aus Halle ist es, eine sorgfältige Fallstudie zur Geschichte des jugendlichen Widerstandes im thüringischen Altenburg und seinen Folgen
geboten zu haben. Die aus einer Magisterarbeit hervorgegangene Studie (kaum zu glauben bei ihrer dissertationswürdigen Anlage) zeichnet sich durch eine minutiöse Rekonstruktion der Fakten ebenso
aus wie durch eine abgewogene Interpretation, jenseits von Idealisierung und Dämonisierung. [...]
Die Arbeit überzeugt fast in jeder Hinsicht. Es gibt wenig an der differenzierten Argumentation auszusetzen. Vielleicht wäre die Zusammenarbeit mit der KgU, sofern möglich, näher
nachzuzeichnen gewesen. Diese Organisation[3] kommt in dem Band besser weg als in einem späteren des Autors.[4] Enrico Heitzer hat eine beachtenswerte Arbeit vorgelegt. Ungeachtet der mitunter
schütteren Quellenlage ist sie höchst instruktiv und liest sich spannend."
Thomas Ammer, Ein Griff in die Speichen der Geschichte und die Folgen, Rezension zu Enrico Heitzer: »Einige greifen der Geschichte in die Speichen«, in: Deutschland Archiv 41 (2008), 3, S. 541-542. (Download PDF)
"Nunmehr liegt eine ausführliche Monografie über das Wirken dieser Gruppe mit dem Namen »Antikominform« und des Schicksals ihrer Mitglieder vor. Der aus Altenburg stammende Autor hat eine gründliche wissenschaftliche Arbeit vorgelegt und zugleich eine spannend zu lesende Reportage. Berichtet wird nicht nur über die Gruppe, sondern auch über innenpolitische Vorgänge in der SBZ/DDR und wichtige Institutionen, was das Buch dem über die DDR-Geschichte weniger informierten Leser verständlich macht. […]
Die Quellenlage war relativ günstig: Zeitzeugenaussagen überlebender Betroffener, KgU-Akten (deren Zuverlässigkeit nicht immer über alle Zweifel erhaben ist) und von den Überlebenden oder Familienangehörigen übergebene Dokumente aus russischen Archiven, wie sie heute von russischer Seite Rehabilitierten bzw. deren Angehörigen zugänglich sind. Aus diesen Materialien ergab sich übrigens eine weitgehende Übereinstimmung der Angaben über die Tätigkeit der Gruppe in den Zeitzeugenberichten und im Urteil des SMT (bei Berücksichtigung des in solchen Texten üblichen Jargons). Dieses SMT hat sogar einige Beschuldigungen des MGB gegen mehrere Angeklagte zurückgewiesen, was diesen im Ergebnis freilich wenig genutzt hat.
Das Buch ist eine wichtige Quelle über bisher unbekannten politischen Widerstand in der SBZ/DDR; es enthält auch zahlreiche Hinweise auf weitere Widerstandsgruppen in dieser Zeit."
UPDATE:
Eine eher persönlich gehaltene Rezension hat auch ein Leser auf dem Portal "amazon" hinterlassen.
UPDATE 22.05.2015
Gerhard Schmale, einer der Zeitzeugen, der mich bei der Entstehung des Buches maßgeblich unterstützte und mit dem ich seit Jahren immer wieder eng zusammenarbeitete, ist am 15.05.2015 gestorben. Wir standen uns auch privat sehr nahe. Ich trauere um ihn.
Ein Nachruf findet sich in der Altenburger Presse:
Nachruf auf Gerhard Schmale
Leipziger Volkszeitung, 22.05.2015
Schmale findet seine letzte Ruhe in Altenburg
Im Vorfeld der Konferenz hatte es Irritationen gegeben, als Henryk M. Broder unseren Call for Papers in der für ihn typischen Art und Weise kommentierte:
“Was hat es mit dem Ereignis des Holocaust auf sich?” fragen ein paar Nachwuchshistoriker aus Deutschland und Polen und laden zu einem “Workshop zur Geschichte der Konzentrationslager” nach Auschwitz-Birkenau ein, wo sie über “Neue Perspektiven der Konzentrationslagerforschung: Ort, Ereignis und Gedächtnis” labern wollen, bis der Schornstein qualmt. Interessierte werden gebeten, Abstracts ihrer Vorträge bis zum 15.2. einzuschicken. Das ist die “Deadline”.
Das akademische Jungvolk, das Dank der Gnade der späten Geburt um die Erfahrung gekommen ist, als SS-Mann oder Frau Dienst an der Rampe schieben zu können, zieht es mit magischer Gewalt an den Ort der Verbrechen ihrer Vorfahren zurück. Und so wie sie sich nichts dabei denken, im Zusammenhang mit Auschwitz von einer Deadline zu reden (Redaktionsschluss wäre nicht romantisch genug), so macht es ihnen nichts aus, von einer “Europäisierung und Internationalisierung des Holocaust” zu phantasieren, die “eine Pluralisierung der Konzepte und Kontexte” begründet. Ja, wer zum Onanieren zu blöd ist, der muss sich eben einen dekonstruieren: “Darüber hinaus sollen die universell aus dem Holocaust abgeleiteten politik- und handlungsleitenden Imperative dekonstruiert und auf ihre Bedeutung für die Wahrnehmung des Holocaust befragt werden.”
Jemand aus dem Orgateam reagierte unabgesprochen, was Broder zu einer zweiten Polemik motivierte:
gut lesen können sie schlecht, aber schlecht denken können sie prima. ich werde also gnade vor unlust ergehen lassen und sie aufklären, was es so mit dem „ereignis auschwitz“ auf sich hat.
dass der satz von dan diner stammt, weiss ich, das macht ihn nicht besser. dass sie sich hinter einem jüdischen historiker verstecken, um den von ihnen fabrizierten unsinn zu veredeln, gehört wohl zu den feinheiten der akademischen event-kultur, die aus den katastrophen von gestern die planstellen von morgen macht.
was also hat es mit dem „ereignis“ auf sich? sind die zahngoldpreise in den keller gefallen? produziert boss nach wehrmachtsuniformen jetzt auch KZ-moden? kommt birkenau auf die weltkulturliste der UNESCO?
es ist noch schlimmer. auschwitz ist die größte touristenattraktion im raum krakau, ein muss für jeden besucher der region. auschwitz wird wie disneyland beworben und spielt – ähnlich wie das berliner holo-mahnmal – direkt und indirekt millionen ein.
grundlage des geschäfts ist der tod von über einer million häftlingen und das bedürfnis der besucher nach einem grusel-erlebnis der extrra-klasse. für die ökonomie der emotionen ist es gleich, ob einer ein gruselkabinett oder die gaskammern besucht, der unterschied liegt nur in der intensität der imaginierten gefühle. die gaskammer ist geiler und authentischer als jeder schlachthof.
bei unbedarften besuchern, die schon den westwall in der eifel, verdun und peenemünde besucht haben, lass ich das durchgehen. aber nicht bei akademikern, die ihre nekrophile geilheit mit dem mantel der wissenschaftlichen neugierde verhüllen. die sprache, die sie dabei benutzen, ist nichts als präpotentes geschwätz, ausgeleiert wie ein alter turnschuh.
ich glaub ihnen aufs wort, dass unter ihren seminaristen auch die „Nachfahren von Widerstandskämpfern und KZ-Häftlingen“ sind. die sind heute überall, weil es im 3. reich nur widerstandskämpfer und kz-häftlinge gegeben hat. manche sind besoffen vom wachturm gefallen und dabei ums leben gekommen, weswegen deren nachfahren heute unbedingt den ort besuchen müssen, an dem das ereignis stattgefunden hat.
ich habe nichts dagegen, dass sich „Nachkommen von Täter/innen mit der NS-Geschichte beschäftigen“, sogar dann, wenn sie dabei das idiotische genderneutrale große I benutzen. dafür müssen sie freilich nicht nach auschwitz reisen, das können sie auch in ihren seminarräumen erledigen. der aufenthalt vor ort bringt keinen erkenntnisgewinn mit sich, er trägt nur zum horror loci bei, der seinerseits sado-masochistische phantasien produziert. die toten seelen der seminaristen füllen sich mit leben, wenn sie den geruch von zyklon b erschnüffeln.
schade, dass auschwitz von den alliierten nicht bombardiert wurde. noch bedauerlicher ist es, dass es nach dem krieg nicht dem erdboden gleichgemacht wurde, um zu verhindern, dass nekrophile vulgär-historiker wie sie und ihre seminaristen den ort durch ihre anwesenheit kontaminieren.
viel spass in birkenau
Nun ein Tagungsbericht von Cornelia Siebeck bei HSozKult:
Seit seiner Gründung 1994 bietet der ‚Workshop zur Geschichte der Konzentrationslager’ ein selbst organisiertes interdisziplinäres Forum von und für Doktorand/-innen, die sich mit Geschichte und Nachgeschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager beschäftigen. Die jährlich stattfindenden Treffen werden von Teilnehmer/-innen des vergangenen Workshops geplant und realisiert. Bei wechselnden Themenstellungen wird so ermöglicht, aktuelle Forschungsarbeiten in hierarchiefreier Atmosphäre zu diskutieren. Traditionell ist der Workshop dabei an Gedenkstätten im In- oder Ausland angebunden, die gemeinsam besucht und anschließend mit Blick auf inhaltliche Konzeption sowie gedächtnispolitische Implikationen und Kontexte reflektiert werden. Gemäß der transnationalen Dimension nationalsozialistischer Repressions- und Vernichtungspolitik und einer international boomenden Holocaustforschung setzt sich der Workshop dabei zunehmend nicht mehr nur aus Deutschen und Österreicher/-innen zusammen, sondern wird auch von Promovierenden aus anderen europäischen Ländern und Israel als Austauschmöglichkeit genutzt.
Der ‚16. Workshop zur Geschichte der Konzentrationslager’ fand im Mai 2010 unter dem Motto „Ort, Ereignis und Gedächtnis“ in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Oświęcim und dem Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau statt. Mit Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung, der Gerda Henkel Stiftung, der Fondation pour la Mémoire de la Shoah und der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit kamen an die 40 Teilnehmer/-innen – überwiegend aus Deutschland, Polen und Österreich, aber auch aus Russland, Belarus, Israel und der Schweiz – zusammen. Auf dem Programm standen insgesamt 15 Vorträge, außerdem Besichtigungen der Gedenkstätten Auschwitz/Auschwitz-Birkenau sowie ein Besuch des so genannten „Jüdischen Zentrums“ in Oświęcim, in dem seit 2000 das einstige jüdische Leben vor Ort museal aufbereitet ist.
Zum Workshopauftakt hatten die Organisator/-innen die Journalistin und Schriftstellerin KATARZYNA ZIMMERER (Kraków) eingeladen, die sich pointiert zu gedächtniskulturellen Fragen im Allgemeinen und zum polnischen Holocaustdiskurs im Besonderen äußerte. Zimmerer selbst kommt aus einer polnisch-jüdisch-deutschen Familie – eine Tatsache, die sie mit den Worten „Mein Volk ermordete mein Volk, während mein Volk zuschaute“ kommentierte. Zuletzt arbeitete Zimmerer an der Ausstellung „Krakau unter nationalsozialistischer Besatzung 1939-1945“ mit, die seit Juni 2010 in der ehemaligen Krakauer Emaillefabrik des deutschen Unternehmers Oskar Schindler („Schindlers Liste“) gezeigt wird. Eindrücklich beschrieb sie die Neigung der Besucher/-innen, in Schindlers Fabrik jeden Stein als vermeintlich ‚authentisch’ zu sakralisieren. Die Ausstellungsmacher/-innen hätten es vor diesem Hintergrund nicht leicht gehabt: Dem verbreiteten Bedürfnis nach einer ebenso eindeutigen wie emotionalisierenden, medial geprägte Vorstellungen affirmierenden Vergangenheitsrepräsentation stand der Anspruch der Historiker/-innen gegenüber, historisch zu kontextualisieren sowie differenziert und faktenorientiert zu informieren.
Diese Problematik kam auch im weiteren Verlauf des Workshops auf die eine oder andere Weise immer wieder zur Sprache. Während in den historiographisch orientierten Vorträgen ‚vergessene Orte’, Faktenreichtum, Komplexität und moralische Ambivalenzen im Vordergrund standen, verwiesen Referate zu Gedächtnis und Repräsentation konsequent auf die Selektivität und Funktionalität der öffentlichen Aneignung (oder Nichtaneignung) von Vergangenheit in einer jeweiligen Gegenwart, die bekanntlich mit vielfältigen Formen der Komplexitätsreduktion und Mystifizierung einhergehen kann.
In einem ersten und eher historiographisch orientierten Panel mit dem Titel „Das Lager: Ort des Terrors“ widmeten sich SWETLANA BURMISTR (Berlin), ANGELIKA BENZ (Berlin) und MIRA JOVANOVIĆ-RADKOVIĆ (Zürich) bisher wenig erforschten Themen. Burmistr sprach über den Prozess der Versklavung und Ermordung von Juden und Roma in der Region Transnistrien unter deutsch-rumänischer Besatzung (1941-1944), an der rumänische Akteure maßgeblich beteiligt waren. Benz erläuterte Struktur und Funktion des SS-Ausbildungslagers Trawniki bei Lublin (Generalgouvernement). Dort wurden seit 1941 bis zu 5000 Kriegsgefangene zu Handlangern der SS ausgebildet, um dann unter anderem als Wachmannschaften für die Vernichtungslager der ‚Aktion Reinhardt’ (1942/43) zum Einsatz zu kommen. An beide Vorträge schlossen sich kontroverse Diskussionen über Formen der Kollaboration mit den deutschen Tätern sowie sich daraus ergebende Fragen nach Handlungsspielräumen, ‚Schuld’ und ‚Verantwortung’ an. Von besonderem Interesse waren dabei Benz’ anschauliche Schilderungen des derzeit laufenden Prozesses gegen den ehemaligen Trawniki-Mann John Demjanjuk, den sie in München beobachtet.
Wenig bekannt ist auch über die Konzentrationslager auf der kroatischen Insel Pag, die Mira Jovanović-Radković erforscht. Unter dem Schutz der Achsenmächte ermordete das faschistische Ustascharegime 1941 im eigens zu diesem Zweck geschaffenen Lagerkomplex Jadovno innerhalb von vier Monaten etwa 40.000 Menschen, allein in den Lagern auf Pag kamen dabei 8000 Serben/-innen, Juden und Jüdinnen ums Leben. Anfang der 1950er-Jahre wurde einigen Tätern der Prozess gemacht, seitdem gerieten die Lager weitgehend in Vergessenheit. Eine angemessene Dokumentation und Kennzeichnung der Orte blieb aus, die 1975 auf Initiative eines engagierten Amateurhistorikers und Inselbewohners aufgestellte Gedenktafel wurde in den 1990er-Jahren zerstört und seither nicht wieder erneuert. Erst jüngst seien bezüglich der kroatischen Lagervergangenheit neue Gedächtnisinitiativen zu beobachten.
KONRAD MANSEER (Wien) sprach in seinem detailreichen Vortrag über die Aufarbeitung der NS-Verbrechen im Konzentrationslager Gusen bei Linz durch die österreichische Nachkriegsjustiz. An Fallbeispielen erläuterte Manseer die dabei herrschende Willkür: So wurde 1947 in Linz ein ehemaliger Funktionshäftling zum Tode verurteilt, während ein besonders brutaler SS-Mann („der einarmige Satan von Gusen“) ein Jahr später mit einer zwanzigjährigen Freiheitsstrafe davonkam.
Basierend auf autobiographischen Texten polnischer Frauen, die Auschwitz-Birkenau überlebt haben, arbeitete AGNIESZKA NIKLIBORC (Kraków) die äußerst unterschiedlichen Erfahrungs- und Deutungshorizonte jüdischer und nicht-jüdischer Frauen heraus. In ihrem Vortrag konstatierte sie, dass ‚race’ im Sinne einer fundamental trennenden Kategorie innerhalb der „totalen Institution“ (E. Goffman) Auschwitz-Birkenau zweifellos mehr Gewicht hatte als die gemeinsame Kategorie ‚gender’. Zudem wies sie einmal mehr auf die unterschiedlichen Selbstverständnisse und Erfahrungen ‚rassisch’ und ‚politisch’ verfolgter Menschen hin, die es gerade im polnischen Gedächtnisdiskurs zu betonen gelte.
Auch im zweiten Panel, das unter der Überschrift „Ereignis und Erinnerung“ stand, beschäftigte sich die Mehrzahl der Referent/-innen mit Zeugnissen Überlebender. FRANK WIEDEMANN (Hamburg) fragt in seiner Doktorarbeit, ob Psychotherapeuten, Psychiater, Psychologen oder Psychoanalytiker aufgrund ihrer Profession spezielle Strategien entwickeln konnten, die Erfahrung des Lagers zu bewältigen und analysiert deren reflexive Schreibprozesse. MELANIE DEJNEGA (Wien) hat in ihrer Diplomarbeit anhand von Fallstudien untersucht, inwiefern sich eine in der österreichischen Anerkennungs- und Entschädigungspraxis gegenüber Opfern des Nationalsozialismus implizierte „moralische Ökonomie“ auch in autobiographischen Erzählungen Überlebender widerspiegelt. Während ein österreichischer Kommunist und ein in Österreich lebender polnischer Jude die vergleichsweise früh erfolgte Anerkennung als ‚Zeitzeugen’ zum zentralen Thema einer ‚erfolgreichen’ Lebenserzählung machen konnten, blieb einem überlebenden Roma eine solche Anerkennung nicht nur weitgehend verwehrt, sondern er erzählte seine Geschichte auch als die einer fortgesetzten Bedrohung und Diskriminierung.
NOAH BENNINGA (Jerusalem) schließlich plädierte in seinem theoretisch bemerkenswert anspruchsvollen Vortrag dafür, die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager radikal anders zu schreiben als bisher. Zentrale Quelle für die Historiographie der Lager müssten die Berichte der Überlebenden mit all ihren signifikanten Stilisierungen, Schwächen und Auslassungen sein. Denn die Realität in den Lagern und ihre vielgestaltigen Alltagspraktiken und Interpretationen seien nur ‚von unten’ rekonstruierbar, die ebenso anekdotischen wie häufig widersprüchlichen Details ein Mittel gegen die strukturelle Logik der Täter, die aus NS-Quellen zu gewinnen sei. Ziel sei dabei nicht die ‚große Erzählung’ der Lager, in die Zeitzeugenberichte bei Gelegenheit eingebaut würden, sondern die Rekonstruktion der Vergangenheit aus Sicht der Betroffenen.
Mit medialen Repräsentationen nationalsozialistischer Konzentrationslager beschäftigten sich die Vorträge von KATJA BAUMGÄRTNER (Berlin) und MATHIAS RENZ/SEBASTIAN BODE (Gießen). Baumgärtner wird in ihrer Dissertation die filmische Darstellung des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück seit 1945 mit Blick auf geschlechtsspezifische Erinnerungsnarrative analysieren – ein Projekt, auf dessen Ergebnisse man nicht zuletzt deswegen gespannt sein darf, als dass die zu untersuchenden Filme zu unterschiedlichsten Zeiten und innerhalb verschiedenster politisch-ideologischer Rahmenbedingungen entstanden sind. Renz und Bode erforschen im Rahmen eines DFG-Projekts unter anderem die Visualisierung des Holocaust in europäischen Geschichtsatlanten. Zahlreiche Kartenbeispiele gaben zur angeregten Diskussion über ‚Angemessenheit’ und ‚Unangemessenheit’ jeweiliger Darstellungen Anlass. Dabei wurde einmal mehr deutlich, dass es hierfür kaum ‚objektive’ Kriterien gibt.
Das dritte und letzte Panel stand unter dem Motto „Gedächtnis – Europäisierung, Internationalisierung, Universalisierung“ und reflektierte vorwiegend politisch-ideologische Dimensionen von Gedächtniskultur. ANNA SOMMER (Kraków) beschrieb die Gedenkstätte Auschwitz zu Zeiten der Volksrepublik Polen als ideologisches Instrument der polnischen Regierung, die den antifaschistischen Widerstand und das ‚Märtyrertum’ der polnischen Bevölkerung betonte und dabei den Völkermord an den europäischen Juden weitgehend marginalisierte. PETER HALLAMA (München) analysierte „Metamorphosen der tschechoslowakischen Erinnerungskultur“ am Beispiel des Gedenkens an das ‚Theresienstädter Familienlager’ in Auschwitz-Birkenau als Ort des Massenmordes an tschechoslowakischen Juden. Sehr differenziert ging er dabei auf wechselnde Konjunkturen und deren Zusammenhang mit politischen Großereignissen wie etwa dem ‚Prager Frühling’ ein. PETER LARNDORFER (Wien) wiederum reflektierte die Externalisierung des Nationalsozialismus im Allgemeinen und des Judenmordes im Besonderen in der österreichischen Gedächtniskultur. Als Fallbeispiel diente ihm die Länderausstellung in der Gedenkstätte Auschwitz, mit der sich Österreich seit 1978 als „Erstes Opfer des Nationalsozialismus“ präsentiert (die Ausstellung wird derzeit überarbeitet). Larndorfer beschrieb in seinem Vortrag, unter welchen politisch-ideologischen Bedingungen das österreichische Opfernarrativ entstehen und überdauern konnte, bis es mit der ‚Waldheim-Affäre’ 1986 endgültig ad absurdum geführt wurde.
An diese Fallbeispiele schloss CORNELIA SIEBECK (Berlin) mit einer theoretischen Reflexion des gedächtnispolitischen Feldes an. Sie plädierte dafür, den verbreiteten Begriff eines vermeintlich repräsentativen ‚kulturellen Gedächtnisses’ ganzer Nationen oder ‚Ethnien’ durch eine hegemonietheoretische Perspektive in Anlehnung an Gramsci und Laclau zu ersetzen. Das öffentliche Gedächtnis erscheine dann nicht mehr als Repräsentation eines konsensualen Kollektivsubjekts, sondern realistischerweise als Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse und Kämpfe um ‚kulturelle Hegemonie’. Siebeck wies darauf hin, dass gerade Gedenkstätten dazu tendierten, die eigene historisch-soziale Bedingtheit durch ihre physisch erfahrbare ‚Qualität der Tatsächlichkeit’ (J. Rüsen) zu verschleiern.
Der letzte Vortrag würdigte mit Ruth Klüger eine Überlebende und Zeitgenossin, die sich wiederholt kritisch über die herrschende Gedächtniskultur an die nationalsozialistischen Massenverbrechen geäußert hat. DENNIS BOCK (Hamburg) fragte in seinem Referat aus literaturwissenschaftlicher Perspektive nach der rhetorischen Funktion der von Klüger oft polemisch vorgetragenen Kritik an Gedenkstätten, Museen und „KZ-Kitsch“. Er deutete Klügers Interventionen als bewusst eingesetzte Strategie, zu polarisieren und provozieren, um die Diskussion über das warum, was und wie der öffentlichen Erinnerung an die NS-Verbrechen lebendig zu halten, anstatt sie in vermeintlichen Selbstverständlichkeiten erstarren zu lassen.
Man kann guten Gewissens behaupten, dass dieses Anliegen Klügers auch das der Workshopteilnehmer/-innen war. Noch jenseits der eigentlichen Tagungszeiten wurde der lebhafte und oft kontroverse Austausch fortgesetzt. Diskussionsstoff gab es genug: Man sprach über die Vorträge des Tages, informierte sich gegenseitig über gedächtnispolitische Trends in den jeweiligen Herkunftsländern und reflektierte die mehrstündigen Besuche in Auschwitz I und Auschwitz-Birkenau, die von Mitarbeitern der Gedenkstätte kompetent begleitet worden waren.
Im Zuge einer gemeinsamen Abschlussdiskussion wurde neben berechtigtem Lob für die Organisator/-innen Imke Hansen, Enrico Heitzer und Katarzyna Nowak auch so manche (Selbst-)Kritik laut: Wie schon auf früheren Workshops monierten einige Teilnehmer/-innen, dass sich die Inhalte der Vorträge zunehmend in Richtung Gedächtniskultur/Repräsentation verlagerten, während historische Forschung zu den Lagern selbst in den Hintergrund trete. Nicht nur von nichtdeutschen Teilnehmer/-innen wurden außerdem Dominanz und normative ‚Selbstverständlichkeit’ eines deutschen Aufarbeitungs- und Gedenkstättendiskurses in den gemeinsamen Diskussionen hinterfragt. Die deutsche Diskurshegemonie wurde dabei nicht zuletzt darauf zurückgeführt, dass Deutsch vorherrschende Tagungssprache war (die nichtdeutschsprachigen Teilnehmer/-innen wurden von Imke Hansen mit einer viel gelobten Simultanübersetzung bedacht). Insgesamt überwog jedoch allgemeine Zufriedenheit vor allem mit der informellen, offenen und kontaktfreudigen Atmosphäre des Workshops.
Der ‚17. Workshop zu Geschichte und Gedächtnisgeschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager’ wird voraussichtlich im Oktober 2011 in der Gedenkstätte Mauthausen bei Linz stattfinden. Ein entsprechender Call for Paper wird voraussichtlich im Januar veröffentlicht.
Konferenzübersicht:
Panel I: Das Lager: Ort des Terrors
Swetlana Burmistr (Berlin): Transnistrien: Orte des Terrors und Erinnerungsräume
Mira Jowanović-Radković (Zürich): Konzentrationslager auf der kroatischen Insel Pag 1941
Agnieszka Nikliborc (Kraków): To be a woman in Auschwitz-Birkenau: Representations in the memoirs of female Polish political and Polish-Jewish prisoners
Angelika Benz (Berlin): Das SS-Ausbildungslager Trawniki
Konrad Manseer (Wien): Das KZ Gusen und die österreichische Nachkriegsjustiz
Panel II: Ereignis und Erinnerung
Frank Wiedemann (Hamburg): Erinnerung und traumatische Folgen nach Konzentrationslagererfahrung
Katja Baumgärtner (Berlin): Geschlechterspezifische Räume. Ravensbrück im Film
Melanie Dejnega (Wien): Von ‚Opfern’ und anderen Überlebenden. Nationale Erinnerung und ihre Bedeutung für Über-Lebensgeschichten
Noah Benninga (Jerusalem): Ethical imperatives and the problematic of reconstructionist historical work on KZ Auschwitz 1940-1945
Mathias Renz/Sebastian Bode (Gießen): Die Visualisierung des Holocaust in aktuellen europäischen analogen und digitalen Geschichtskarten
Panel III: Gedächtnis – Europäisierung, Internationalisierung, Universalisierung
Anna Sommer (Kraków): Political Influences on the Memory of Auschwitz in the PRL and the USA
Peter Hallama (München): Hatikvah, tschechische Nationalhymne oder sowjetische Partisanenlieder? Das ‚Theresienstädter Familienlager’ in Auschwitz-Birkenau und die Metamorphosen der tschechoslowakischen Erinnerungskultur
Peter Larndorfer (Wien): Auschwitz im ‚österreichischen Gedächtnis’
Cornelia Siebeck (Berlin): Gedächtnis, Macht, Repräsentation. Zur (Un-)Möglichkeit ‚demokratischer’ NS-Gedenkstätten
Dennis Bock (Hamburg): „Erinnerung ist keine gemütliche, badewasserlaue Annehmlichkeit“: Ruth Klügers Kritik an KZ-Gedenkstätten und Museen
Zitation
Tagungsbericht: Workshop zur Geschichte der Konzentrationslager, 21.05.2010 – 25.05.2010 Birkenau, in: H-Soz-Kult, 21.10.2010, <http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-3326>.
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